Zu Besuch bei Karl Otto Mühl
Ein Autor zum Anfassen: 100 Wuppertaler reisten mit Mühl nach Köln und sahen sich dessen „Rheinpromenade“ an.
Wuppertal/Köln. Wer darf neben Karl Otto Mühl Platz nehmen? Der Kreis potenzieller Sitznachbarn ist groß, die Erwartungshaltung der 100 Mitreisenden ebenso. Und der Respekt vor dem 90-Jährigen ist ohnehin kaum zu steigern.
Wo gibt es das auch schon? Einen Schriftsteller zum Anfassen — noch dazu einen, der sich sichtlich freut, dass seine „Rheinpromenade“ in Köln neu inszeniert wird und die Bühnen seiner Heimatstadt eine Fahrt zum Ort des Geschehens organisiert haben.
„Das Thema des Stücks, der Umgang mit dem Alter, ist zeitlos. Ich bin sehr gespannt“, sagt Katharina Kranemann. Auch Helge Lindh genießt die Vorfreude: „Ich schätze Karl Otto Mühl sehr.“ So ist die Stimmung bestens — und der Theaterausflug eine Mischung aus Fanclub-Fahrt und Freundschaftsbekenntnis.
Denn viele der Mitreisenden, die sich am Sonntag in zwei Bussen von der Stadthalle aus auf den Weg zur Kölner Spielstätte, der Expo 2, machen, sind ausgewiesene Literatur- und Theaterkenner. Etliche kennen Mühl persönlich. Die meisten anderen haben zumindest eines seiner Werke gelesen. So oder so: Am liebsten würden alle neben der Hauptperson des Tages Platz nehmen — was bei 100 Mitfahrern allerdings schwierig wird.
Denen, die in Bus eins nicht zum Zug kommen, bleibt zumindest die Aussicht, dass in der Spielstätte genug Zeit bleiben wird, um vor der Aufführung ins Gespräch zu kommen, und anschließend auch noch ein Treffen mit dem Dramaturgen Götz Leineweber und Schauspieler Martin Reinke ansteht. Der wird am Ende regelrecht schwärmen: „Ich finde den Humor und die Gelassenheit der Figur großartig“, betont Reinke, der den verschrobenen Fritz (77) spielt, der im eigenen Haus von Tochter und Schwiegersohn eher geduldet als geschätzt wird und der (auch deshalb?) Gefühle zu einer 50 Jahre Jüngeren entwickelt. „Dankbar“ ist Martin Reinke für seine Rolle: „Der unverkrampfte Umgang mit dem Thema fasziniert mich — mit jeder Vorstellung mehr.“
Schmunzeln müssen die Wuppertaler Zuschauer, als Reinke aus dem Nähkästchen plaudert. Im Bühnenbild spielt eine rollbare Leiter eine zentrale Rolle, mit der die Darsteller in höher gelegene Zimmer aufsteigen. „Bei den Proben hatten wir nur eine Stehleiter — die mussten wir dann hin- und hertragen“, verrät der Hauptdarsteller lachend.
Rührend ist vor allem eine Szene, die sich nicht während der Vorstellung, sondern danach abspielt: Die Schauspieler, allen voran Birgit Walter alias Tochter Kläre gehen ehrfürchtig, beinahe etwas schüchtern auf den nach wie vor regen Autoren zu und bedanken sich bei ihm herzlich für das Stück, das in Wuppertal vor 40 Jahren uraufgeführt wurde.
„Die Inszenierung damals war sehr ergreifend“, sagt Filmemacherin Anne Linsel, die 1973 dabei war — und es jetzt auch in Köln wieder ist. SPD-Politikerin Sanda Grätz kennt das Stück ebenfalls schon seit der Uraufführung und ist von Mühl begeistert. „Er ist immer freundlich und verbunden — egal, wo man ihn trifft.“
Und was sagt der Mann des Tages selbst dazu? „Wir waren alle bewegt“, meint der Erfinder des Ganzen nach der Aufführung. Ob er in die Probenarbeit einbezogen wurde? Mühl formuliert es so: „Die wollten mich überraschen.“ Man könnte auch sagen: „Nicht jeder hat die starken Nerven, die man braucht, wenn der Autor dabei ist.“ Der 90-Jährige sagt es schmunzelnd — so, wie er auch die Unterschiede zwischen der Uraufführung und der aktuellen Neuinszenierung registriert: „Das ist aber klar. Man würde ein Stück heute ja auch nicht mehr so schreiben wie vor 40 Jahren.“