Zurück aus dem Niemandsland: Die Abenteuer einer Geigerin
Eine Einladung aus der Mongolei erhält man nicht alle Tage. Entsprechend außergewöhnlich waren Gunda Gottschalks Auftritte beim Roaring Hooves Festival.
Frau Gottschalk, Sie kommen gerade vom Roaring Hooves Festival, einem internationalen Musikfest mit Konzerten für Nomaden. Was hat die Mongolei, was Wuppertal nicht hat?
Gunda Gottschalk: Herumliegende Kadaver, Gerippe und Schädel habe ich bisher in Wuppertal noch nie gesehen. Der vergangene Winter war in der Mongolei so hart, dass wesentlich mehr Tiere umgekommen sind als sonst. Dadurch ist vielen Nomaden die Existenzgrundlage entzogen worden.
Gottschalk: Wuppertal hat asphaltierte Straßen, auf denen man mit normalen Autos fahren kann.
Gottschalk: Ich habe eine Tüte voller Quark-Kekse, die etwas ranzig riechen und die niemand hier essen will. Scherz beiseite: Durch die ungewöhnlichen Konzertorte - eine Sanddüne der Wüste Gobi, die Felsen eines Lama-Klosters, in dem nur drei Frauen wohnen und ein See inmitten der Steppe - habe ich gelernt, unter freiem Himmel zu musizieren und auch die Landschaft in meine Musik einzuschließen.
Gottschalk: Oh, da muss ich jetzt doch eine Auswahl treffen! "Das Schönste" hat es eigentlich nicht gegeben. Aber gut: In einer sehr öden flachen Steppenlandschaft östlich von Ulan Bator (dem Unrsprungsort des Wirkens von Dschingis Khan) gelangten wir in eine Art Niemandsland. Auf der Reise dorthin haben wir kaum Jurten, Nomaden oder Tierherden gesehen.
Gottschalk: Dann hieß es, dass am folgenden Tag ein dem Roaring Hooves Festival zu Ehren veranstaltetes Nadaam-Fest stattfinden soll. Nadaam ist ein Pferdewettrennenn. Wir sind mit dem vierrad-angetriebenen Bus um 9 Uhr morgens über das Gras gefahren und nach rund 50 Minuten im Gras angekommen. Dort war alles schon vorbereitet. Es gab Tische mit Quark-Keksen, eine mit Stromgenerator betriebene Soundanlage, 350 Rennpferde, 800 Nomaden in Festtags-Deehl (der traditionellen Kleidung), ein Haufen starker Männer für die Wrestling-Ringkämpfe, die wichtigsten Meisterinnen des Bogenschießens, Knochen-Schnips-Spiele und die schon bald senkrecht stehende Sonne mit 35 Grad Celsius.
Gottschalk: Wir steuerten improvisierte Musik, ein Schlagzeugensemble mit Werken von Seve Reich, Edgar Varése und John Cage, traditionelle mongolische Musik, aber auch eine Modenschau mit festlichen mongolischen Gewändern und die Medaillen für die Gewinner der Spiele bei. Eine absurde Ausganssituation also, die eigentlich nur großartig ausgehen konnte. Und so war es auch. Es gab musikalische Darbietungen zwischen den Ringkämpfen. Vier- bis sechsjährige Kinder jagten auf den Pferden daher wie der Wind. Dazu kamen die unglaubliche Hitze und eine riesige Menge von Menschen, die gemeinsam ein Fest feierten. Das Fest war aufgrund desharten Winters das erste in der Gegend. Deshalb waren auch alle da.
Gottschalk: Es gab noch viele andere Momente, in denen die Improvisation eine wichtige Rolle spielte. Die Konzertverläufe wurden immer kurz vorher der jeweiligen Situation angepasst. So landeten wir beispielsweise bei unserem See-Konzert in voller Montur im Wasser. In der Hauptstadt wurde ein Konzert im Naturkundemuseum dem dort ausgestellten Dinosaurier gewidmet. Und im Bergkloster verteilten wir uns auf den umliegenden Bergen, um nach einer Art "Call-and-response"-Prinzip gemeinsam mit den mitmusizierenden Ziegen zu konzertieren.
Gottschalk: Das Ensemble Partita Radicale feiert rumänischen Geburtstag mit Ulpiu Vlad in Berlin, es gibt eine Einladung zu einem Frauenmusikfestival nach Kassel und in Antwerpen werden schon im Oktober im Rahmen eines Festivals die ersten mongolisch-europäischen Kooperationen präsentiert, die auf dem Roaring Hooves Festival entstanden sind.