„Kundschaft haben wir bis kurz vor Mitternacht“
Immer mehr Supermärkte in Wuppertal bleiben bis in die Nacht geöffnet. Die Konzerne begründen das mit Kundenwünschen, die Gewerkschaft Verdi fordert dagegen ein Umdenken.
Die Liberalisierung der Öffnungszeiten hat den Bürgern die Möglichkeiten beschert, auch nach Büro- oder Werksschluss ausreichend Zeit für einen Einkauf zu haben. Wer noch Brot, Obst, Milch oder Käse kaufen will, wer plötzlich noch Hunger auf Süßes oder Pikantes hat oder vergessen hat, Seife, Kaffee oder Bier und Spirituosen zu besorgen, der kann das in den Akzenta- und Edeka-Märkten in Wuppertal bis 20 oder gar 21 Uhr erledigen. Die Discounter Aldi, Lidl und Penny schließen um 21 Uhr, Netto sogar erst um 22 Uhr. Noch länger einkaufen können die Wuppertaler in den ehemaligen Kaufpark-Supermärkten. Seit der Übernahme durch Rewe haben die Filialen nämlich montags bis freitags von 7 Uhr bis Mitternacht geöffnet, lediglich an Samstagen ist um 22 Uhr Feierabend.
Das sind Öffnungszeiten, die bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nicht gut ankommen. Miriam Jürgens, für den Einzelhandel im Bezirk Rhein-Wupper-Düssel zuständige Gewerkschaftssekretärin, spricht von „desaströsen“ Verhältnissen. „Jeder kann den Euro nur einmal ausgeben. Deshalb sind durch solche arbeitnehmerunfreundlichen Öffnungszeiten keine Umsatzsteigerungen zu erwarten“, erklärt Jürgens, die nicht nur gesundheitliche Schäden für die betroffenen Arbeitnehmer befürchtet. „Der Bio-Rhythmus dieser Menschen gerät total durcheinander.“ Weitere Gefahren sieht die Gewerkschafterin für die persönliche und familiäre Situation.
„Für alleinerziehende Mütter ist das eine Katastrophe. Außerdem werden Menschen, die bis Mitternacht arbeiten müssen, in ihrem Umfeld separiert, sie können überhaupt nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen“, formuliert Jürgens ihre Meinung. Sie fordert ein Umdenken auf diesem Gebiet.
Während Lebensmittelmärkte wie Akzenta in Wuppertal, der Rewe in Köln angeschlossen ist, um 21 Uhr schließen, gehören die ehemaligen Kaufpark-Lebensmittelmärkte zu Rewe-Dortmund. Deren Pressesprecherin Julia Hertin sieht in den ausgeweiteten Öffnungszeiten eine Notwendigkeit und begründet sie mit Kundenwünschen: „20 Jahre nach der Einführung der Spätöffnung sieht sich Rewe darin bestätigt, dass ausgedehnte Öffnungszeiten von den Kunden gewünscht und angenommen werden. Die in den zwei Jahrzehnten erzielten Umsatzzuwächse lassen sich zum Teil auch auf die verlängerten Öffnungszeiten zurückführen.“ Auf WZ-Nachfrage heißt es, dass sich die genauen Zahlen nur schwer beziffern lassen. Längere Öffnungszeiten bedeuteten zudem nicht, dass linear mehr Umsatz erwirtschaftet werde. Hertin betont aber, dass zu erkennen sei, dass einige Kunden ihre Einkäufe in die Abendstunden verlagern, weil dann mehr Zeit zur Verfügung stehe.
Außerdem verweist die Pressesprecherin auf die permanente Verfügbarkeit des Online-Handels, wodurch sich die Kunden daran gewöhnt hätten, dass sich der Handel auf ihre Bedürfnisse einzustellen habe. „Wir betrachten die Öffnungszeiten standortindividuell. Sie sind kein Selbstzweck, sondern müssen zur Wirtschaftlichkeit jedes Standortes führen.“ Und wie sehen die Betroffenen, die Verkäuferinnen und Verkäufer, die Arbeit bis Mitternacht? Erstaunlicherweise relativ entspannt. „Nicht so schön, aber es ist nun mal so“, hieß es bei der WZ-Befragung. „Wir halten in den späten Abendstunden natürlich eine kleinere Besetzung vor und wechseln uns zu sechst an den Wochentagen mit dem Abschließen ab“, schildert eine Angestellte die Situation und führt aus, dass man den Spätdienst durch Nachtzuschläge versüßt bekomme. Nimmt die Kundschaft die Gelegenheit zum „Mitternacht-Shopping“ überhaupt wahr? „Wer früher um 20 Uhr kurz vor Ende gekommen ist, der kommt jetzt eben kurz vor Mitternacht. Kundschaft haben wir bis zum Schluss.“