Mahler mal anders: Kamioka auf Unterrichts-Besuch
Wie der Sinfoniker-Dirigent Realschülern die Sinfonien Gustav Mahlers näher brachte – und dabei auch Privates ausplauderte.
Wuppertal. Verdammt lang her! Wer glaubt, dass dieser Song von BAP wegen Altersschwäche schon nicht mehr beim Nachwuchs zündet, der wird Gustav Mahlers 5. Sinfonie erst recht als verloren erachten. Indessen will das Wuppertaler Sinfonieorchester genau dieses verdammt alte, 70 Minuten lange Werk am kommenden Donnerstag 220 Schülern der Max-Planck-Realschule präsentieren. Uff, ein schwerer Brocken!
Allerdings zählt doch immer, wie so ein Kloß serviert wird. Gestern kam Toshiyuki Kamioka, Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Orchesters, persönlich in die Schule, um am Elektro-Piano Einstiegshilfe zu geben. Ta-ta-ta-taaa. Aber ja, das könnte auch Beethovens Fünfte sein, womit schon klar ist, dass Sprache nur ein schwaches Vehikel ist, um Musik zu erschließen. Ebenso klar wird, dass hinter jedem Ton ein Berg von Wissen lauert.
Ein wenig aufgeregt wirkt der Meister, aus dem die Gedanken nur so heraussprudeln. "Takt zu Takt, Ton zu Ton" füge sich zu einem Thema, auf dass es cis-Moll werde. Wer nun zur "progressiven Tonalität beim späten Mahler" wechseln würde, sähe bald Schüler um Schüler in sanften Schlummer versinken.
Kamioka dagegen weiß die Jugend zu packen, erzählt von Trauermärschen, bei denen getrunken werden darf, pfeffert zum Vergleich eine Phrase aus Beethovens Eroica in die Tasten und landet dann bei seinem Liebling Chopin. "Chopin?" Nein, den kennen die Schüler nicht. "Schade", sagt Kamioka gänzlich ohne belehrenden Ton und einfach nur lachend.
Dann setzt er an zum Marche funèbre, Chopins berühmtem Trauermarsch. So schnell sei Mahler dagegen nicht beim Leid, da werde es zwischendurch auch mal "ganz kraus", womit Kamioka seinen Unterarm auf die Tastatur schlägt und wieder alle Schüler in seinem Bann hat.
50 Minuten brauche Mahler, um endlich bei der Sehnsucht zu landen. Es gebe Liebessehnsucht, aber auch - "ja, was soll ich jetzt sagen?" - Todessehnsucht. Der "Tod in Venedig" hilft den Schülern dabei nicht auf die Sprünge, denn zu Thomas Mann weiß nur ein Mädchen, diesen Namen schon mal gehört zu haben.
Wieder nimmt es Kamioka gelassen und stellt sich umgekehrt den Schülerfragen. "Wie viel verdienen Sie?" Anfangs seien es 1400 Mark gewesen, legt der Meister ganz unbefangen los. Und heute käme, wäre da nicht die Steuer, schon ein Batzen zusammen. Dann gibt er zu, einst bei der Kindergartenprüfung durchgefallen zu sein und erst mit 18 ordentlichen Klavierunterricht genommen zu haben. Da sage einer, irgendwann seien Hopfen und Malz verloren.
"Ich kannte ihn nicht", erzählt Aynur Baran nach der Unterrichtsstunde. "Anfangs habe ich ihn auch nicht richtig verstanden, weil er sehr schnell und mit Akzent spricht. Aber mit dem Klavier wurde dann alles klar." Was könnte man Schöneres über Musik sagen?