„Man merkt sofort, ob die Chemie stimmt“
Mark Rohde ist aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Generalmusikdirektors und stellt sich beim Sonder-Sinfoniekonzert vor.
Wuppertal. Natürlich sagt es keiner laut und schon gar nicht offiziell, aber Mark Rohde gilt nach seinen Dirigaten bei Puccinis „Butterfly“ und einer Orchesterprobe als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Generalmusikdirektors. Grund genug, ihn vor dem Sonder-Sinfoniekonzert am 29. Januar zu fragen, woran man denn merkt, dass die Chemie mit einem Orchester stimmt. Seit fünf Jahren ist der gebürtige Hamburger 1. Kapellmeister der Niedersächsischen Staatsoper Hannover.
Herr Rohde, was ist der Unterschied, wenn Sie vor ein bekanntes oder ein unbekanntes Orchester treten?
Mark Rohde: Wenn man ein festes Orchester hat, kennt man seine Kollegen, und die kennen einen auch — sie wissen, was ich gleich sagen werde. Das ist wie in einer Ehe: So eine Beziehung muss man pflegen, gewisse Schrullen und Eigenheiten akzeptieren.
Was passiert dann bei einem Gastspiel?
Rohde: Das hat den Reiz des Neuen. Es ist erfrischend, weil man nicht weiß, was einen erwartet. Wenn die Chemie stimmt, kann das unglaublich inspirierend sein.
Wie lange brauchen Sie, um zu merken, ob die Chemie stimmt?
Rohde: Das weiß man nach wenigen Minuten. Ich habe ja in Wuppertal auch eine Vorstellung der „Butterfly“ dirigiert. Die Einstudierung hatte ich bei der General- und Hauptprobe gehört. Als ich zur Vorstellung kam, ohne dass wir vorher gemeinsam geprobt hatten, habe ich in den ersten Minuten probiert, wie weit ich mich von der Einstudierung entfernen kann. Und weil alle Musiker auf der Stuhlkante saßen und extrem aufmerksam waren, hat das auch extrem gut funktioniert. Das Sinfonieorchester ist überhaupt sehr reaktionsfreudig.
Wie machen Sie einem Orchester Ihre Vorstellung deutlich?
Rohde: Ich arbeite gern mit Bildern. Ich sage nicht: „Spielen Sie leiser“, sondern ich sage: „Stellen Sie sich vor, Sie liegen morgens im Bett und es weht ein zarter Kaffeeduft vorbei — so sollen Sie diese Passage spielen.“ Es gibt Orchester, die lieben das, und ich muss es nie wieder erklären. Andere können damit überhaupt nichts anfangen.
Merken Sie auch, ob die Musiker untereinander harmonieren?
Rohde: Bei einem Gastdirigenten reißen sich immer alle zusammen. Aber es gibt natürlich immer wieder Kollegen, die gar nicht miteinander können. Dann wird es schwer, schön miteinander zu spielen. Wenn man länger zusammenarbeitet, ist es eine der Aufgaben, dafür zu sorgen, dass solche Kollegen wieder zueinander finden und der Gesprächsfaden nicht ganz abreißt.
Macht es einen Unterschied, ob Sie ein klassisches Werk oder eine Uraufführung einstudieren?
Rohde: Eigentlich nicht — mit Vorbehalt. Ich kann ein Stück sowieso nur umsetzen, wenn ich von der Qualität begeistert bin, ganz gleich, ob es neu ist oder aus dem klassischen Repertoire kommt. Bei den meisten gibt es so viel zu entdecken, wenn man die Partitur studiert: Wie es aufgebaut ist, wie die Leute seinerzeit bei der Uraufführung reagiert haben. Wenn ich meine Begeisterung auf das Orchester übertragen kann, ist es super. Bei klassischen Stücken ist das manchmal leichter, weil sie eingespielte Hörgewohnheiten bedienen. Andererseits habe ich tatsächlich schon Musiker gehabt, die sagen: „Junger Mann, wir spielen das seit 100 Jahren aber so.“
Was machen Sie dann?
Rohde: Wenn man weiß, was man will und das begründen kann, ist das kein Problem.
Wie sprechen Sie überhaupt ein Orchester an?
Rohde: Ich habe immer im Hinterkopf, dass das studierte Musiker sind und Menschen, die diesen Beruf ergriffen haben, weil sie Musik lieben. Diese Liebe kann nach 25 oder 30 Jahren im Orchesterdienst ein wenig verschüttet sein. Dann bemühe ich mich, sie neu zu beleben und die sinnliche Seite eines Stücks zu vermitteln. Generell sollte der Ton so freundlich sein, wie man selbst gern angesprochen werden möchte.
Erkundigen Sie sich vor einem Gastspiel über ein Orchester?
Rohde: Nein. Ich lasse mich nicht gern beeinflussen. Es bringt mir ja auch nichts, wenn ein Kollege mit einem Bratscher oder sonst wem nicht zurechtgekommen ist.
Wer hat das Programm für das Konzert in der Stadthalle zusammengestellt?
Rohde: Das habe ich gemeinsam mit der Orchesterleitung ausgesucht. Es sollte ein Solist dabei sein, es sollte ein Werk aus der Neuen Wiener Schule vorkommen, und die Stücke sollten in Wuppertal länger nicht gelaufen sein. Franz Schuberts Sinfonie Nr. 9 C-Dur und Alban Bergs Violinkonzert sind auch für mich neu. Zusammen mit Beethovens Coriolan-Ouvertüre wird das genau die Entdeckungsreise, über die ich vorhin gesprochen habe. Ich freue mich sehr darauf und mache auch die Einführung vor dem Konzert selbst.
Bekommen die Zuschauer diese Reise auch mit?
Rohde: Grundidee des Programms ist, die ganze Palette menschlichen Seins widerzuspiegeln. Bei Beethovens Coriolan geht es um den bevorstehenden Selbstmord. Alban Bergs Stück ist ein Requiem für die jung verstorbene Tochter von Alma Mahler. Dann kommt die lebensbejahende „Große“ Sinfonie von Schubert. Letztlich ist das ein hochromantischer Gedanke: Der Weg vom Dunkel ins Licht.