Wuppertal Mann springt mit Kind vor Zug - Arzt attestiert Psychose
Ein 23-Jährige hat am Hauptbahnhof in Wuppertal ein fremdes Kind gepackt und sich mit ihm vor einen Zug geschmissen. Er wird wohl in einer Psychiatrie müssen.
Wuppertal. Manchmal scheint es, als gäbe es keinen Irrsinn mehr, der nicht auch irgendwo Realität werden könnte. Der Donnerstagabend in Wuppertal ist so ein Moment: Auf dem Bahnsteig an Gleis 5 des Hauptbahnhofs greift sich ein fremder Mann um 18.08 Uhr einen fünfjährigen Jungen, springt mit ihm ins Gleisbett und geht dem einfahrenden Zug Nr. 30999 der S-Bahn-Linie 9 entgegen. Während der Lokführer eine Notbremsung auslöst, legt sich der Mann mit dem Jungen vor den Zug — glücklicherweise längs der Schienen und nicht quer zu ihnen. Obwohl die S-Bahn die beiden mehrere Meter überrollt, erleidet der Fünfjährige nur leichte Schürfwunden. Der Täter bleibt unverletzt.
Am Tag danach ermittelt die Staatsanwaltschaft weiter wegen versuchten Mordes gegen den 23-Jährigen aus Gelsenkirchen, der laut Polizei vor mehreren Jahren als Asylbewerber von Indien nach Deutschland einreiste. Die Motivlage bleibt völlig unklar. Der Mann hatte zwar keinen Widerstand geleistet, als ihn Passanten bis zum Eintreffen der Polizei festhielten, nachdem er unter der Bahn hervorgeklettert war. Aber nach Angaben eines Polizeisprechers verweigert er auch am Folgetag noch jede Aussage. Der Polizei war er bisher nur wegen kleinerer Aggressionsdelikte und Schwarzfahrens bekannt. Erste Vermutungen zum Tatmotiv gehen in die Richtung eines erweiterten Suizidversuchs. Dagegen spricht allerdings die Art und Weise, wie sich der Mann vor den Zug legte.
Schon am Vormittag wird auch ein Psychiater eingeschaltet, dem der Mann schließlich laut Staatsanwalt Hauke Pahre „die Tat ziemlich teilnahmslos schildert“. Der Sachverständige kommt zur Einschätzung, dass eine psychische Erkrankung vorliegen könnte, die womöglich eine eingeschränkte Schuldfähigkeit oder sogar die völlige Schuldunfähigkeit zur Folge haben könnte. Staatsanwalt Pahre beantragt daher beim Amtsgericht Wuppertal die einstweilige Einweisung des Beschuldigten in ein geschlossenes psychiatrisches Krankenhaus, bei psychisch Kranken die Entsprechung zu einem Haftbefehl. Am frühen Abend fällt schließlich die Entscheidung: Der Mann kommt nicht in Untersuchungshaft. Der Ermittlungsrichter ordnet stattdessen die Zwangseinweisung in eine psychiatrische Einrichtung an. Endgültig muss die Frage der Schuldfähigkeit jetzt von einem Gericht geklärt werden.
Der Vorfall hinterlässt geschockte Menschen in Serie, darunter die Wuppertaler Familie des Jungen. Die beiden Eltern und zwei jüngere Geschwister (1 und 3) werden Augenzeugen des dramatischen Geschehens und müssen mit dem Schlimmsten rechnen, bis der Junge körperlich fast unversehrt als Erster unter der Lok hervorkriecht und von seinem Vater in Empfang genommen werden kann. Seine leichten Verletzungen können ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Die Familie wird noch am Abend seelsorgerisch betreut. Zum Täter bestehen nach Polizeiangaben keinerlei Verbindungen, der Junge war ein Zufallsopfer. Auch der Zugführer der S-Bahn erleidet einen Schock. Er ist vorerst krankgeschrieben und erhält psychologische Unterstützung.
Auch im Feierabendverkehr hinterlässt das Drama seine Spuren: Eine Dreiviertelstunde bleibt der gesamte Bahnhof gesperrt, die letzten Gleissperrungen werden erst gegen 21.30 Uhr aufgehoben. Bei 40 Zügen kommt es zu Verspätungen. Vier Züge werden umgeleitet, fünf fallen komplett aus, 34 weitere zumindest auf Teilstrecken.