Serie Teil 3 Max Ophüls erweist sich als Glücksgriff

Wuppertal · Der Historiker Michael Okroy über das „Vereinigte Stadttheater Barmen-Elberfeld“, das eine besondere Spielzeit 1924/25 erlebt .

In Igor Stravinskys „Geschichte vom Soldaten“ im Stadttheater Elberfeld gibt Max Ophüls (r.) den Vorleser.

In Igor Stravinskys „Geschichte vom Soldaten“ im Stadttheater Elberfeld gibt Max Ophüls (r.) den Vorleser.

Foto: Stadtarchiv Wuppertal

Nach der von Krisen und Katastrophen geprägten Frühzeit der Weimarer Republik beruhigte sich die politisch und wirtschaftlich unruhige Lage in Deutschland spürbar, besonders im Freistaat Preußen, dem größten Land im Deutschen Reich. Dort regierte seit April 1925 eine sogenannte „Weimarer Koalition“ aus Sozialdemokraten, katholischem Zentrum und Linksliberalen. Angesichts rechter und linker Angriffe auf die parlamentarische Demokratie gründete das Bündnis im Frühjahr 1924 eine überparteiliche Republikschutzorganisation, das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Es wuchs in den Folgejahren auf über drei Millionen Mitglieder an und lieferte sich besonders gegen Ende der Weimarer Republik erbitterte Kämpfe mit den Nazis – auch hier im preußischen Wuppertal, wo sich die NSDAP seit 1930 als Massenpartei fest etabliert hatte.

Die Erholung der Wirtschaft nach der Hyperinflation von 1923 gab das Startsignal zu jenen „Goldenen Zwanzigern“, die, oft verklärt und mythisch überhöht, mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 schon wieder vorbei waren. Viele Menschen, von Krisen angegriffen und der Politik überdrüssig, suchten damals Ablenkung, wo immer sich die Gelegenheit dazu bot, etwa im Musiktheater. Dort dominierte allerdings, auch im Wuppertal, überwiegend das Ernste und Dramatische, vor allem in den Opern von Wagner, Verdi und Puccini.

 Das kreative Multitalent Max Ophüls schafft 1924/25 in Wuppertal seinen Durchbruch.

Das kreative Multitalent Max Ophüls schafft 1924/25 in Wuppertal seinen Durchbruch.

Foto: Helmut G. Asper

Von der wachsenden Sehnsucht nach Unterhaltung profitierte damals die Operette. Sie lebte von Verstellung, Verkleidung und (manchmal anarchischer) Verwirrung, spiegelte die Träume von Zufriedenheit und Glück und ebnete so allerlei Fluchtwege aus der tristen Realität. Als „kleine Schwester der Oper“ wurde sie deshalb von der Kritik nie wirklich ernst genommen und von Intellektuellen mit Herablassung kommentiert. Das Publikum hingegen liebte die Operette immer inniger, und zwar klassenübergreifend. Dank neuer Medien wie Rundfunk und Schallplatte und vieler Ohrwürmer war sie außerdem akustisch nahezu allgegenwärtig. Auf den Stadttheaterbühnen gehörte sie daher, schon aus ökonomischen Gründen, zum absoluten Pflichtprogramm.

Als doppelter Glücksgriff erwies sich, dass die Intendanz des „Vereinigten Stadttheaters Barmen-Elberfeld“ für die Spielzeit 1924/25, der ersten nach der Inflation, den jungen Max Ophüls als Spielleiter für Oper und Schauspiel engagierte. Man räumte ihm viel Freiraum ein zur kreativen Entfaltung und verhalf ihm so zu jenem künstlerischen Durchbruch, der ihn „mit einem Schlag“ aus der Provinz Wuppertal direkt in die Theatermetropole Wien, an das legendäre Burgtheater katapultierte.

 Design im Stil der Zeit: Programmheft der Spielzeit 1924/25.

Design im Stil der Zeit: Programmheft der Spielzeit 1924/25.

Foto: Okroy

Als er dort antisemitische Zuschriften aus dem Publikum erhielt, kündigte die Intendanz seinen Vertrag aber schon nach einer Saison. Ab 1930 wandte er sich dem Film zu. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten ging er ins Exil, über Paris nach Hollywood, wo er sich zu einem der großen Regisseure des 20. Jahrhunderts entwickelte.

In „Elberfeld-Barmen“ war sein Arbeitspensum enorm. An insgesamt 21 Produktionen wirkte er maßgeblich mit: überwiegend als Regisseur und Schauspieler, aber auch als Bühnenbildner und Rezitator. Er inszenierte Georg Kaisers zeitgenössische „Kolportage“ (UA 1924), übernahm Rollen in Stücken von Schiller, Shakespeare, Kleist und Wedekind, war der Vorleser in Igor Stravinskys szenischer Moritat „Die Geschichte vom Soldaten“ und glänzte beim glamourösen Theater-Ball in den Zoo-Festsälen als charmanter Kabarett-Conférencier.

Ganz in seinem Element war er aber, wenn Intendant Dr. Paul Legband ihm die Inszenierung von Operetten anvertraute. Er nahm sie als Kunstform ernst, nutzte klug und einfallsreich ihren Unterhaltungswert und fand damit selbst in der von Künsten aller Art verwöhnten Hauptstadt Beachtung. Der „Berliner Börsen-Courier“, eines der einflussreichsten Feuilletons der Weimarer Republik, zählte Ophüls‘ Inszenierungen rückblickend „zu den entzückendsten Abenden der Saison überhaupt“ und prophezeite dem vielversprechenden Regisseur „jung, gegenwarts- und zukunftsträchtig, seinen Weg [zu] machen.“ (23.7.1925)

Seinen Einstand im leichten Genre gab das Multitalent mit „Dorine und der Zufall“ (UA 1922) von Jean Gilbert, der mit Walter Kollo und Paul Lincke zu den bedeutendsten Berliner Operettenkomponisten zählte. Zwar reagierte die Kritik gemischt, das Publikum jedoch war offenbar restlos begeistert und forderte mehrmals die Wiederholung einzelner Musikstücke. Regelrecht verzaubert schien es gewesen zu sein, als Max Ophüls „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauß auf die Bühne des ausverkauften Barmer Hauses brachte und stürmischen Applaus erntete.

Enormes Arbeitspensum ermöglicht entzückende Abende

Bei so viel Operettenseligkeit traf es sich gut, dass Strauß‘ Meisterwerk „Die Fledermaus“, die Königin der Gattung, 1924 ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum feierte. Das wurde auch im Tal gebührend gewürdigt, mit einer festlichen Premiere als „Sondervorstellung des Vereins der Wuppertaler Presse“. In den Hauptrollen gaben sich Gäste der Staatsoper Berlin die Ehre, die Tanzeinlagen steuerte das hauseigene Ballettensemble bei. Beinahe wäre es zum Eklat gekommen, denn die Darstellerin der „Adele“ hatte zwischen zwei Akten die Bühne verlassen, um rechtzeitig den Zug nach Berlin zu erreichen. Marianne Keiler-Abendroth aus dem Ensemble – und Ophüls’ Lebensgefährtin – sprang ein und rettete die Aufführung.

Am Spielzeitende entzündete Ophüls mit Jacques Offenbachs burlesker Travestie „Die schöne Helena“ dann noch einmal ein unterhaltsames Feuerwerk szenischer Ideen. Offenbach bot nun etwas andere Unterhaltungskost als der österreichisch-deutsche Operettenstil. Seine Stücke waren frecher, geistreicher und erotisch aufgeladener. Schon bei der Uraufführung in Paris 1864 und bald danach auch in Wien erregte das Werk die Gemüter, weil die Protagonistin, „die schönste Frau der Welt“, dort nackt auf der Bühne stand. Ophüls‘ Fantasie schien unerschöpflich: Er verlegte die in der klassischen Antike spielende Handlung in das Jahr 1925, textete Anspielungen auf die lokalen Verhältnisse dazu, benutzte ein Megaphon, ließ Verkehrsschutzpolizisten auftreten und verwandelte eine Galeere in ein modernes Flugzeug, mit dem Helena von ihrem Liebhaber entführt wurde. Es muss ein Riesenspektakel und ein großes Vergnügen gewesen sein. Ob es auch eine hüllenlose Helena gab, verrät die Kritik nicht.

Bevor Max Ophüls schließlich zur Spielzeit 1925/26 von „Barmen-Elberfeld“ an das Wiener Burgtheater wechselte, machte er noch einmal buchstäblich von sich reden. Im September 1925 wurde im Thalia-Theater erstmals der von der Westdeutschen Funkstunde A.G. betriebene „Sender Elberfeld“ gestartet. Bei einer Probesendung des noch jungen Massenmediums rezitierte Ophüls aus Werken Selma Lagerlöfs, der Nils Holgersson-Autorin. An rund 25 000 Radiogeräten im Rheinland konnte man ihm dabei zuhören.

Wuppertal scheint für den später international renommierten Regisseur ein gutes Umfeld gewesen zu sein. 1956, anlässlich der Wiedereröffnung des im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Barmer Stadttheaters, dem heutigen Opernhaus, erinnerte sich Max Ophüls an sein kurzes, aber höchst intensives Jahr am hiesigen Musiktheater: „Barmen-Elberfeld war mein Anfang als Regisseur. Und dort war ein guter Beginn. Alle, die von dort kamen, haben es erfahren. Denn es kommt nicht nur auf den Bau an, auf die Mauern, ob sie prächtig sind oder akustisch gut, auch nicht nur auf das Programm, und gar nicht auf die Gagen ... es muß auch das Wesen einer Stadt geben, damit die Träume atmen können, es muß um das Theaterhaus ein musischer Wind wehen. Er ist nicht nur von heute. Er setzt sich aus Vergangenheit zusammen, aus den Schritten derer, die lange vor uns dort über die Bühne gingen, und aus den Erwartungen, den Eindrucksfähigkeiten der Einwohner, ihrem Verlangen, ihren Freuden. Der musische Wind ums Theater war mir wohlgesinnt.“