Finanzen in der Krise Immer mehr Fälle: Wegen Corona erweitert sich die Schuldnerberatung
Wuppertal · Die Diakonie in Wuppertal bietet eine neue Hotline an, die sich speziell an Menschen richtet, denen die Corona-Pandemie akute Geldnöte gebracht hat.
Das Telefon der Schuldnerberatung steht nicht still. Wenn sich jeden Montag zwischen 10 und 12 Uhr Menschen mit Geldnöten bei der Diakonie melden können, dann sprechen Abteilungsleiterin Anke Lichte und ihre Kollegen die zwei Stunden lang durch. „Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen anrufen, weil wir nicht wissen, wer alles nicht durchkommt“, sagt die Schuldnerberaterin. Klar sei: Durch Corona sei die Zahl der Menschen mit Hilfsbedarf deutlich gestiegen. Die Ursachen sind Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Unternehmer, die plötzlich kein Einnahmen mehr haben.
Der Druck ist so hoch, dass die Diakonie jetzt das Angebot ausgeweitet hat: Immer donnerstags von 10 bis 12 Uhr können sich nun speziell Menschen an die Beratung wenden, die wegen der Coronakrise in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Erstmals ist das Angebot nicht nur für Arbeitslose, Arbeitnehmer, Rentner und Studenten geöffnet, sondern auch für Selbstständige. Sie gehören wirtschaftlich nicht selten zu den großen Corona-Verlierern.
Bei akuten Geldsorgen rät die Schuldnerberatung in diesen Tagen erst einmal den Kontakt zu Vermietern und Energieanbietern zu suchen. „Miete und Energiekosten, aber auch Kreditzahlungen lassen sich im Moment ja stunden“, sagt Lichte. Fakt sei aber auch, dass das Aufschieben von Zahlungen das Schuldenproblem nur nach hinten schiebt.
Haushaltsbuch kann versteckte Kosten aufdecken
Daher geben die Berater den Menschen in diesen Tagen auch viele Tipps, die auf eine bessere Haushaltsplanung abzielen. „Ich empfehle den Anrufern, ein Haushaltsbuch einzuführen“, berichtet Lichte. Viele hätten das Problem: „Sie heben Geld ab und wissen am Ende des Monats nicht, wo es geblieben ist.“ Daher solle man sich erst einmal klar machen, wie die täglichen Ausgaben aussehen. „Da stellen dann manche zum Beispiel fest, dass dauernd Geld im Deko-Laden geblieben ist“, sagt Lichte. Besser sei es da, für jede Woche Umschläge mit abgezähltem Geld zu bestücken.
Doch sparsam sein ist in der Corona-Krise nicht mehr so leicht. Das sei ein großes Problem für Menschen, die sowieso schon am Existenzminimum leben. Das fange bei dem Infektionsschutz an. „Unsere Kunden können nicht mal eben sechs Euro für eine Schutzmaske abzweigen“, sagt die Juristin. Auch die täglichen Einkäufe stellen im Augenblick eine Mehrbelastung dar. Das Toilettenpapier werden in einigen Märkten teurer verkauft und auch seien es gerade die günstigen Produkte, die den Hamsterkäufern als erstes zum Opfer fallen. So bleiben dann beispielsweise die Markennudeln im Regal, während das Discount-Produkt vergriffen ist. Gleichzeitig wurde der Hartz-IV-Regelsatz aber nicht angepasst.
Mitte März musste die Beratungsstelle der Diakonie an der Sternstraße die Offene Tür schließen. Für die Berater ist die Ferndiagnose schwierig. Astrid Neumann-Look berät seit 1998 Schuldner und erinnert sich noch an eine Zeit, als sie Hausbesuche bei den Menschen in Not machte. „Da konnte man sich ein viel umfassenderes Bild machen“, sagt sie. Die Probleme hinter den Schulden traten dabei viel deutlicher an die Oberfläche: etwa Drogenkonsum oder psychische Einschränkungen. Die Expertin weiß: „Im persönlichen Gespräch öffnen sich die Menschen ganz anders.“ Doch im Laufe der Jahre seien zu viele Schuldner hinzu gekommen. Schon seit längerem gebe es keine Hausbesuche mehr und seit Corona nicht einmal mehr den Blickkontakt.
Kontopfändungen erschweren die Zahlung von Soforthilfen
Für Senioren, die mit der digitalen Welt überfordert sind, ergibt sich in der Fernberatung noch ein ganz anderes Problem: Sie können nicht einmal eben Unterlagen einscannen oder abfotografieren. „Wir müssen uns dann ganz auf die Angaben der Betroffenen verlassen. Das ist schwierig“, sagt Lichte.
Die Corona-Soforthilfen der Bundesregierung seien zwar eine gute Maßnahme, doch bei überschuldeten Menschen ergäbe sich dabei nicht selten eine große Hürde: die Kontopfändung. So gelangen schwer Bedürftige nur mit Mühe oder gar nicht an das Geld. Bescheinigungen für höhere Freibeträge seine bei den Behörden derzeit sehr schwer zu bekommen, gleichzeitig bestünden aber die Banken darauf.
Schon vor der Corona-Krise verzeichneten die Berater einen Anstieg bei den Anrufen, unabhängig von Corona. Das hänge mit zwei Tendenzen zusammen, so Lichte: Immer öfter melden sich Flüchtlinge, die zum größten Teil 2015 nach Deutschland gekommen sind, und auch die Altersarmut nehme zu.
Die Zahlen aus dem Wuppertaler Armutsbericht untermauert den Trend. Rückblick: 2011 ließen noch mehr als 2600 Bürger im Alter zwischen 65 und 80 Jahren ihre Rente durch die Grundsicherung aufstocken. Am 31. Dezember 2017 bezogen bereits mehr als 4100 der über 65-Jährigen Leistungen der Grundsicherung im Alter. Inzwischen sind mehr als 4200 Senioren betroffen. Die Folgen der Corona-Krise sind da noch nicht eingerechnet.