Wuppertaler Meisterwerke Meisterwerke im Von der Heydt-Museum: Wie eine Pforte zur Unterwelt

Die „Felsenküste bei Étretat“ des Malers Gustave Courbet ist derzeit im Von der Heydt-Museum zu sehen.

 Gustave Courbets „Felsenküste bei Étretat“ aus dem Jahr 1869.

Gustave Courbets „Felsenküste bei Étretat“ aus dem Jahr 1869.

Foto: Von der Heydt - Museum Wuppertal

Die an der normannischen Küste gelegene Ortschaft Étretat mit ihren eindrucksvollen Felsformationen hat seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von Malern angezogen, unter ihnen Horace Vernet, Eugène Isabey, Eugène Delacroix, Claude Monet und später Henri Matisse und Georges Braque. Auch Courbet ließ sich während seines Aufenthalts in der Normandie im Sommer 1869 dieses berühmte Bildmotiv nicht entgehen und schuf zahlreiche Ansichten des Felsenbogens „Porte d’Aval“.

Die wohl berühmteste Fassung ist das 1870 im Salon ausgestellte Bild, das sich heute im Musée du Louvre befindet. Unser Bild, eine zweite Fassung desselben Motivs, ist noch bis 24. Februar in der Ausstellung „Paula Modersohn-Becker – Zwischen Worpswede und Paris“ zu sehen.

Für beide Fassungen wählte Courbet einen Standort am Ufer. Von hier aus nahm er zunächst den unbelebten Strand in den Blick, der formal und farblich zu der eindrucksvollen Felsformation überleitet. Gegenüber dem Pariser Bild ist auf der Wuppertaler Fassung der Aspekt des Unberührten und des Rohen noch gesteigert. Der engere Bildausschnitt und die Beschränkung auf nur ein Boot suggerieren die Ursprünglichkeit dieser Naturformation.

Auch die strahlend heitere Atmosphäre des wahrscheinlich nur wenig früheren Bildes im Louvre ist durch eine gedämpfte Helligkeit ersetzt. Vertikale Linien dominieren das Bild (leitmotivisch schon mit dem Bootspflock im Vordergrund angedeutet) und die tiefen Schatten in der Felswand, die noch verstärkt werden durch zwei Höhlen am Fuß der Klippen. Die verschlossene Tür am linken Bildrand wirkt wie eine Pforte zur Unterwelt. Durch den Felsbogen fällt ein rötliches Licht, als ob dahinter die Sonne untergeht.

Die Idee vieler Landschaften Courbets ist eine Naturdarstellung, die sich der menschlichen Vereinnahmung entzieht. Auch hier ist die Natur menschenleer; sie dient nicht als Ort der Erholung oder als Schauplatz der Elemente, sondern als Widerpart der Zivilisation. In einem 1864 datierten Brief an Victor Hugo vergleicht er dessen Wohnort auf der Felseninsel Guernsey mit den Felsenwänden des französischen Jura. In seinen Augen zeigten beide das Schauspiel einer ursprünglichen Natur, die den Menschen innerlich zur Ruhe kommen lässt.

Eine solche Selbsterfahrung, die Aufrichtung einer Persönlichkeit angesichts der unendlichen Natur, ist ein romantisches Erbe der Aufklärung, das immer wieder zur Darstellung des sinnenden Menschen am Rande von Steilküsten und Felsengrüften geführt hat. Damit nahm Courbet eine gegenteilige Haltung gegenüber seinen Zeitgenossen ein, die die Natur zum eigenen Ruhm und Reichtum zu bezwingen suchten.