Kunstaktion Mit 50 Menschen auf Audiotour durch Wuppertal

Wuppertal · Bettina Milz holt das Künstlerkollektiv "Rimini Protokoll" nach Wuppertal, wo es mit 50 Menschen auf Audiotour durch die Stadt geht. Rahmen ist das Vorlaufphasenformat des Pina Bausch Zentrums, "Under Construction".

„Remote X“ wurde in vielen Städten inszeniert - hier in Kiew  im Jahr 2020.

Foto: Anastasiia_Fatieieva / Rimini Protokoll/Anastasiia_Fatieieva

Das Projekt soll Haus und Stadt verbinden und dadurch die Aufmerksamkeit auf das künftige Pina Bausch Zentrum im Schauspielhaus lenken. Adressaten sind vor allem Wuppertalerinnen und Wuppertaler, aber auch Auswärtige – denn die Macher des Projekts sind überregional bekannt. Bettina Milz, Koordinatorin und Leiterin der Planungsphase des Zentrums, holt das renommierte und mehrfach ausgezeichnete Künstlerkollektiv „Rimini Protokoll“ in die Stadt. Im September und Oktober wird es mit seiner Stadtperformance „Remote Wuppertal“ die Stadt bespielen. Mit Menschen, die hier leben.

Remote steht in der Computersprache für „entfernt“ und zugleich „miteinander verbunden“. Das „mobile Forschungslabor“-Format „Remote X“ (X steht für eine Stadt) des Künstlerkollektivs entstand 2013 und wanderte schon durch etliche Städte in der Welt, die es jeweils neu erkundete, dabei ähnlichen Prinzipien folgte. Stets geht es um die Frage nach künstlicher Intelligenz, Big Data und der eigenen Vorhersagbarkeit. Jede neue ortsspezifische Version baue „auf der Dramaturgie der Vor-Stadt auf“ und schreibe das Stück so immer weiter, erklären die Künstler.

Im Mai wurde dafür in Wuppertal eine Woche lang recherchiert, wurden Orte für eine Route ausgesucht, die am Friedhof Sonnborn beginnen, über Schwebebahn, Hauptbahnhof, Cityarkaden, eine Kirche und weitere Stationen bis zum Schauspielhaus führen soll. Gerade wird die Produktion fertiggestellt. Die Mitwirkenden der Aufführung sind „Experten des Alltags“, Zuschauerinnen und Zuschauer, die nun eben auch Akteurinnen und Akteure sind. Dafür haben sie einen drahtlosen Kopfhörer aufgesetzt, über den sie wie mit einem Navigationssystem geleitet werden – eine künstlich wirkende Stimme erklärt, gibt Anweisungen, etwas zu tun, erzählt. Musik, Geräusche und Filmkompositionen runden die kollektive Audiotour ab. Begleitet werden die Bürgerinnen und Bürger (ab neun Jahre) von Scouts. Eine Einladung zu einem „Stadtspaziergang, der das Eigene mit fremden Augen anders sehen lässt“, beschreibt Milz.

Die Theaterwissenschaftlerin kennt Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel schon aus ihrer Studienzeit in Gießen, arbeitete schon mit ihnen zusammen, bevor diese 2000 das Theater-Label „Rimini Protokoll“ gründeten – stets dem Prinzip folgend, „mit Mitteln des Theaters neue Perspektiven auf die Wirklichkeit zu erschaffen“. Das Trio arbeitet in verschiedenen Konstellationen (inszenierte in Wuppertal 2019 John Cages Oper „Europera 1&2“ mit) und mit Expertinnen und Experten theaterferner Bereiche. Oft zeichnen sich seine Bühnenstücke, Interventionen, szenischen Installationen oder Hörspiele durch Interaktivität und einen spielerischen Umgang mit Technik aus. Milz ist ein Fan seiner Arbeit. Jede Inszenierung sei überraschend und biete eine „präzise eigene Lösung für die jeweilige Situation“.

Ausgabe drei unter dem Motto „Teilhabe und Kommunikation“

Ende letzten Jahres begannen die Gespräche über ein bewegliches Format, das als großer Aufschlag die Spielzeit 2023/24 eröffnen soll. In der plant Bettina Milz gemeinsam mit Tanztheater und Foundation Pina Bausch insgesamt drei größere Produktionen: „Common grounds“ im Januar (hier wirkt auch die Ècole des Sables mit) , „Wundertal“ im Mai (eine große Performance des neuen Tanztheaterintendanten Boris Charmatz auf einer Wuppertaler Straße) und eben „Remote Wuppertal“. Letzteres bringt überdies nach coronabedingter Zurückhaltung in den letzten Jahren weiter Bewegung ins Vorlaufphasenformat „Under construction“: Auf Ausgabe zwei Anfang Mai folgt nun Ausgabe drei. Sie steht unter dem von der Koordinatorin vorgegebenen Motto „Teilhabe und Kommunikation“, indem sie eine Verbindungsachse in die Stadt bespielt. Einer Stadt, die (im Unterschied zum Pina Bausch Zentrum) da ist, mit ihrem Potenzial für Transformation Milz begeistert. „Das Pina Bausch Zentrum in seiner Auswirkung auf die Stadt ist wichtig. Es soll Transformationsmotor werden.“

Eine Transformation, auf die auch das zentral gelegene Schauspielhaus seit Langem wartet. Der europaweit ausgeschriebene Architekturwettbewerb hat im April begonnen. Einige renommierte, gesetzte Büros und weitere 15 Bewerberinnen und Bewerber gingen ins Rennen. Anfang 2023 soll der Preisträger ermittelt werden. Sodass vielleicht noch im selben Jahr der erste Bagger anrollt.