Begrabt mein Herz in Wuppertal Mit Bananen zum Karl Marx-Denkmal
Uwe Becker erinnert sich an seine Reise nach Chemnitz zurück. Es war das Jahr 1989.
Von Uwe Becker
Für mich sind die schlimmen Ausschreitungen in Chemnitz nicht überraschend, sitzen doch einige Neo-Nazis bereits in Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag. Wenn am Ende solcher Demonstrationen wie in Chemnitz, ausländische Mitbürger auf offener Straße gejagt werden, und die Polizei nur halbherzig einschreitet, dann wundert es mich nicht, dass vor einigen Wochen Polizisten in Wuppertal den Chef des Job-Centers, Thomas Lenz, recht rustikal „fixierten“ und in Haft nahmen, Rechtsradikale aber nicht ergriff, obwohl es genügend Anlässe dafür gab.
Kürzlich hat eine Besuchergruppe der AfD-Politikerin Weidel eine Führung durch die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen so gestört, dass sie abgebrochen werden musste. Aus der Gruppe heraus soll die Existenz von KZ-Gaskammern in Zweifel gezogen worden sein. Mitarbeiter von Gedenkstätten beobachten, es gebe immer mehr Besucher, die NS-Verbrechen bei Führungen relativieren wollten, so Axel Drecoll, der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Darf man beruhigt sein, wenn Neo-Nazis den Holocaust leugnen, weil sie ja dann eigentlich gar keine richtigen Nazis sind? Hitler und Göring haben ihn jedenfalls nicht abgestritten, genau so wenig wie Goebbels: „Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig.“
Ich möchte zum Schluss ein sehr persönliches Erlebnis schildern: Als ich mit der ITALIEN-Redaktion 1989 Chemnitz besuchte, dass damals noch Karl Marx-Stadt hieß, war das mein erster und einziger Besuch in der Deutschen Demokratischen Republik. Nur wenige Monate später fiel die Mauer, ob ich damals den Stein ins Rollen brachte oder die Eingeborenen, das müssen die Historiker entscheiden. Anlass für unseren Besuch im Nachbarland war eine Ausstellung des Wuppertaler Cartoonisten, Jorgo, im „Klub der Intelligenz“. Der mitgereiste Wuppertaler Künstler RME Streuf hielt die Lobrede. Vorher legte unsere Delegation, unter Aufsicht eines Volkspolizisten, am Karl Marx-Denkmal eine Bananenstaude nieder. Die kostbare Frucht nahmen wir aber danach mit in den Klub, denn jeder Besucher sollte am Eingang eine Banane geschenkt bekommen. Da aber so viele Besucher zur Vernissage erschienen, hatten wir nicht genug dabei, und so gab es leider auch ein paar lange Gesichter.
Insgesamt war es aber eine gelungene Veranstaltung. Spät am Abend luden uns die Funktionäre der SED (Gastgeber) noch in eine Nachtbar ein. Am Eingang gab es Ärger, da ein paar Studenten aus Afrika der Einlass verwehrt wurde. Da wir dieses Vorgehen als rassistisch brandmarkten, und Künstler Streuf sofort die Einlasskarten für die zehn dunkelhäutigen Studenten bezahlte, durften die jungen Männer mit in die Bar. Im Gegensatz zu uns, saßen sie friedlich am Tisch.
Unsere Delegation musste nichts bezahlen, und so floss Bier, Krim-Sekt und Wodka in Strömen. Ein sturzbetrunkenes Mitglied unserer Redaktion brachte sogar seinen für zehn Ostmark gekauften, ferngesteuerten russischen Spielzeugpanzer auf dem Tresen zum Einsatz, der brutal Biergläser abräumte, die auf dem Boden zersplitterten. Mit dem Kanonenrohr wurde dann noch, wenn auch aus Spaß, der vietnamesische Barkeeper bedroht. Schön war das alles nicht.
Ja, damals gab es in Chemnitz auch schon ein wenig Rassismus, aber im Grunde war hier die Welt noch in Ordnung.