Forschung Mit dem Computer Leonardo da Vincis Welt entdecken
Elberfeld. · Professor Holger Hoffmann von der Universität Wuppertal über die unendlichen Möglichkeiten des digitalen Entwurfs.
„Ich kann das“, sagt der gebürtige Ostwestfale auf die Frage, ob er noch am Reißbrett zeichnen könne. „Ich würde das aber nicht mehr tun.“ Denn an seinem Lehrstuhl vermittelt er vor allem Techniken zur computergestützten Konzeption, Visualisierung und Materialisierung von Architektur.
Das händische Zeichnen spiele selbstverständlich immer noch eine Rolle, sei es im Gespräch zwischen Architekt und Bauherrn oder bei den Ideen der ersten Konzeptskizzen. Doch schon die darstellende Geometrie mit Perspektive oder Schattenkonstruktion werde ab dem zweiten Semester mit dem Computer vermittelt. „Das ist besser, schneller, effizienter und am Ende des Tages auch schöner“, stellt Holger Hoffmann, Professor des Lehrstuhls „Darstellungsmethodik und Entwerfen“ sachlich fest. Er ist überzeugt, dass es heute kein Architekturbüro mehr gibt, in dem noch nur per Hand gezeichnet wird. Grund dafür sind die immer neuen Anforderungen durch die Digitalisierung, die einen unerschöpflichen Gestaltungshorizont eröffnen.
Das Spannende an seinem Lehrstuhl sei die Integration von Entwurf und Darstellung mit den Möglichkeiten computergestützter Fertigungstechnik: „Ich glaube, dass wir ungefähr 25 Jahre nach Einführung von CAD (Computer-Aided Design - computergestütztes Entwerfen, Anm. d. Red.) in der Architektur ein Fachgebiet vertreten, das für Studierende und Absolventen überlebenswichtig ist. Weil alles das, was wir hier an digitalen Techniken, aber auch formalästhetischen Fragen vermitteln, später für sie die nötige Arbeitsgrundlage darstellt.“
Wie wichtig diese Kenntnisse auch im internationalen Bereich seien, wo jegliche Kommunikation fast ausschließlich digital verlaufe, beweise auch der sich gerade jetzt entwickelnde Prozess des Building Information Modeling, kurz BIM genannt. Dabei handelt es sich um einen effizient-modellbasierten Prozess, der Experten weltweit verbindet, so dass sie Gebäude- und Infrastrukturprojekte punktgenauer gemeinsam planen, bauen und betreiben können.
Dort entstehen virtuelle Projekträume, auf die Beteiligte unterschiedlichster Gewerke zugreifen können. Ein digitaler Raum, der Fachplaner aus aller Welt zusammenarbeiten lässt. Den Computer versteht Hoffmann dabei als kreatives, digitales Medium, das durch seinen Einsatz auch das Entwerfen grundlegend verändert hat.
Hoffmanns Credo:
Von Vorbildern lernen
Phantasievolle, filigrane Architekturbeispiele gibt es viele. „Wenn wir in die Architekturgeschichte schauen, eine Barock- oder Rokokokirche betrachten und die Ornamentik und geometrische Komplexität erkennen, gehen Raumbildung und Formenvokabular ja weit über das hinaus, was wir heute als Architektur beschreiben“, erklärt der 45-Jährige. Weltberühmte Bauten wie das Opernhaus in Sidney oder das Guggenheimmuseum in Bilbao sind Beispiele, die er gerne heranzieht, um den Studierenden einen Kanon architektonischer Möglichkeiten aufzuzeigen.
Arbeiten der irakischen Stararchitektin Zaha Hadid wiederum, die die zeitgenössische Architektur maßgeblich mitbestimmt hat, dienen ihm als mutige Vorbilder in der Lehre, um andersdenkend zu neuen Gestaltungsmöglichkeiten zu gelangen.
Genauso andersdenkend arbeitet Hoffmann auch in seinem Düsseldorfer Architekturbüro „one fine day“. Ob Moschee oder Einfamilienhaus in ländlicher Umgebung, der Architekt lässt den Betrachter seiner Objekte immer erkennen, in welchen Kontext das Bauwerk gehört. Doch bei näherer Betrachtung entdeckt auch der Laie, dass er so etwas eigentlich noch nie gesehen hat.
Der Wettbewerbsentwurf einer Moschee, den auch der Imam akzeptiert hat, weist bei genauerem Hinsehen Gewölbestrukturen auf, die zwar traditionell erscheinen, die es so aber noch nicht gegeben hat. Oder das in Ostwestfalen in einer Bauernschaft entstandene Haus, das sich beim ersten Hinsehen harmonisch in die übrige Häuserlandschaft einzupassen scheint, dessen Dachkonstruktion und Aufteilung aber der Betrachter selbst beim Umrunden des Gebäudes nicht erklären kann. „Das ist auch etwas, was der Bauherr genießt. Er sagt, dass Besucher, die zu seinem Haus kommen, dieses zunächst nicht verstehen. So können sie zum Beispiel nicht ermessen, ob das Haus groß oder klein ist.“
Nicht jede Exkursion kann zu den großen Baubeispielen in der Welt aufbrechen und das muss auch gar nicht sein. Hoffmann kennt selbst hier in Wuppertal und Umgebung diverse Architekturbeispiele, die auch im internationalen Vergleich wegweisend sind. „Das fängt an mit dem Neutra-Haus (Villa Pescher) am Freudenberg, das weitgehend unverändert erhalten ist. Haus Pescher ist eine Ikone von Weltrang aus den 60er Jahren. Das Haus ist in der Raumkonstruktion, in der Materialisierung, im Verhältnis Haus und Garten und so weiter so raffiniert, das gibt es nicht häufig.“
Aber auch die Villa Waldfrieden im Skulpturenpark oder der Wallfahrtsdom in Neviges sind Bauwerke, nach denen man auch weltweit lange suchen muss.
Für Hoffmann bilden der Lehrstuhl in Wuppertal und sein Büro in Düsseldorf so gesehen eine Art Symbiose. „Es geht uns darum, eine Brücke zu schlagen zwischen den Themen, die wir hier in Wuppertal entwickeln, und den Themen, die wir im Büro entwickeln. Beide Standorte zu koppeln, gibt uns die Freiheit, Projekte dann auch anders zu denken.“
Leonardo hat es schon vor über 500 Jahren vorgemacht. Anders denken, sich nicht beirren lassen und Dinge entwickeln, die das Gewöhnliche übersteigen. Diese Philosophie setzt Hoffmann digital fort und sagt: „Für mich ist Architektur keine Disziplin, in der nur bestehendes Wissen weitergegeben wird, sondern in der über die Zukunft unserer Disziplinen spekuliert wird. Für uns ist es zentral wichtig, dass unsere Studierenden lernen, das, was man – angeblich – immer so macht, in Frage zu stellen und Lösungen zu finden, die interessanter sind als das, was man sonst so macht. Das ist architektonischer Fortschritt.“