Interview Narkosen im fortgeschrittenen Alter: „Offene Kommunikation ist absolut entscheidend“

Wuppertal · Dr. med. Martin Weiss aus dem Agaplesion Bethesda Krankenhaus Wuppertal beantwortet Fragen rund um das Thema Anästhesie.

Dr. Martin Weiss betont, worauf es bei Narkosen im Alter ankommt.

Foto: Anne Wirtz

Im fortgeschrittenen Alter müssen sich viele Menschen medizinischen Eingriffen unterziehen, sei es wegen altersbedingter Erkrankungen, Verletzungen oder akuten Gesundheitsproblemen. Diese Situationen können bei Patienten und deren Angehörigen Ängste und Sorgen auslösen, besonders wenn es um die Anästhesie geht. Die Vorstellung, dass eine Vollnarkose im Alter riskant sein könnte, führt häufig zu einem Gefühl der Unsicherheit.

Um diese Bedenken zu adressieren und ein besseres Verständnis für die Anästhesie im fortgeschrittenen Alter zu schaffen, haben wir mit Dr. Martin Weiss gesprochen. Er ist ein erfahrener Anästhesist mit mehr als 32 Jahren Berufserfahrung und leitet seit 2014 als Chefarzt die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Wuppertal. In diesem Interview teilt Dr. Weiss wertvolle Einblicke über die Herausforderungen, Risiken und die Bedeutung der Aufklärung in der Anästhesie bei älteren Patienten.

Herr Dr. Weiss, was genau ist die Anästhesie?

Martin Weiss: Der Begriff „Anästhesie“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Empfindungslosigkeit. In erster Linie bezeichnet er die Vollnarkose, die bestimmte Qualitäten erfüllen muss: Dazu gehören die Bewusstseinsausschaltung, die Herstellung von Schmerzfreiheit, die Unterdrückung von Reflexen wie etwa dem Husten- oder Schluckreflex und teils auch die Muskelentspannung. Neben der Vollnarkose gibt es auch Regionalanästhesien. Diese unterteilen sich in periphere Regionalanästhesien, wie die Betäubung von Hand oder Arm, und rückenmarksnahe Verfahren wie Spinal- und Periduralanästhesie. Letztere sind besonders angezeigt für Eingriffe wie Kaiserschnitte oder zur Schmerzlinderung während der Geburt und für alle großen Bauch- und Brustraumeingriffe.

Welche besonderen Herausforderungen gibt es bei der Anästhesie älterer Patienten?

Weiss: Mit dem Alter gibt es signifikante Veränderungen in der Physiologie. Die Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Organsysteme, wie zum Beispiel Herz, Lunge, Leber oder Niere, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Kognitive Einschränkungen sind im Alter auch häufiger anzutreffen. All diese Veränderungen führen zu einer größeren Empfindlichkeit gegenüber Anästhetika. Die Fähigkeit des Körpers, Stress zu bewältigen, ist ebenfalls gemindert, was die Risiken während und nach dem Eingriff erhöht. Auch der Allgemeinzustand ist oft schlechter, was eine gründliche Analyse des Gesundheitszustands und eine gute Vorbereitung auf alle Eventualitäten vor einem operativen Eingriff unerlässlich macht. Beispielsweise ist es entscheidend, die Dosierungen anzupassen, da ältere Patienten niedrigere Dosen an Anästhetika benötigen. Darüber hinaus ist es wichtig, die Verabreichung langsamer vorzunehmen und engmaschig zu überwachen, um potenzielle Nebenwirkungen schnell zu erkennen und zu minimieren.

Wie schätzen Sie das Risiko von Komplikationen während der Anästhesie bei älteren Menschen ein, und welche Maßnahmen ergreifen Sie zur Risikominimierung?

Weiss: Die Hauptkomplikationen können Herzinfarkte, Schlaganfälle, Delir oder postoperatives kognitives Defizit umfassen, insbesondere bei älteren Patienten mit bestehenden Gesundheitsproblemen. Um diese Risiken zu minimieren, verwenden wir moderne Überwachungstechniken und passen die Anästhesietechnik individuell an.

Gibt es spezielle Überwachungs- oder Unterstützungsmaßnahmen nach einer Narkose für ältere Menschen?

Weiss: Eine spezielle Nachsorge ist sehr wichtig. Ältere Menschen benötigen oft eine längere Überwachungszeit. Diese findet bei uns im Bethesda-Krankenhaus im Aufwachraum statt, in dem wir aufmerksam auf die Vitalzeichen der Patienten achten. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Überprüfung der Narkosetiefe. Mit einer kontinuierlichen Messung können wir die Narkosetiefe individuell anpassen und Überdosierungen vermeiden. Dadurch werden medikamentöse Nebenwirkungen und das Risiko für ein postoperatives Delir vermindert. Sorgfältige Beobachtungen helfen uns, mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen und für unsere Patienten die bestmögliche Betreuung während der Erholungsphase zu gewährleisten.

Was würden Sie älteren Patienten und deren Familien mit auf den Weg geben, wenn es um die Anästhesie geht?

Weiss: Dass eine offene Kommunikation absolut entscheidend ist. Viele ältere Patienten haben Bedenken hinsichtlich der Anästhesie, insbesondere im Hinblick auf potenzielle kognitive Auswirkungen. Wir klären sie jedoch während des gesamten Behandlungsprozesses transparent über unser Vorgehen, die Gründe dafür, die Risiken und Vorteile auf, um eine informierte Entscheidungsfindung und Unterstützung zu ermöglichen. Dabei sollten sich ältere Patienten nicht scheuen, uns Fragen zu stellen. Es ist wichtig, Vertrauen in das medizinische Team zu haben. Wir sind am Bethesda-Krankenhaus sehr erfahren im Umgang mit älteren Patienten und der Fachbereich Anästhesie hat sich im Laufe der Jahre kontinuierlich weiterentwickelt, insbesondere in Bezug auf technologische Fortschritte und neue Medikamente. Moderne Überwachungs- und Anästhesiegeräte ermöglichen eine präzisere Dosierung der Anästhetika und eine bessere Überwachung der Patienten. Schon seit vielen Jahren kommen besser steuerbare und sicherere Anästhetika mit weniger Nebenwirkungen zur Anwendung.

Gibt es abschließend noch etwas, das Sie unseren Lesern mitteilen möchten?

Weiss: Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Anästhesie bei älteren Patienten ein hochkomplexer Prozess ist, der ein individuelles Vorgehen erfordert. Wir sind uns der Herausforderungen bewusst, die das Alter mit sich bringt, und setzen alles daran, die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Ich ermutige die Leser, sich aktiv in ihre medizinische Betreuung einzubringen, Fragen zu stellen und ihre Bedenken offen zu teilen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Patient, Angehörigen und dem medizinischen Team ist entscheidend. So können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Behandlung sicher und effektiv verläuft.

(Red)