Nicht Wahrheit, sondern Wahrhaftigkeit

Bodo Kirchhoff bringt zur Literatur Biennale seinen noch unveröffentlichten Roman mit.

Bodo Kirchhoff.

Foto: Dirk Jochmann

#SchönLügen lautet das Thema der Literatur Biennale Wuppertal, die in knapp zwei Wochen (6. bis 19. Mai) zu 30 Veranstaltungen an 24 Orten in der Stadt einlädt. Auch Bodo Kirchhoff, Träger des Deutschen Buchpreises und bekannter Autor, musste sich der Frage nach Lüge und Wahrheit stellen — bei der ersten Lesung des Literaturfestivals am Sonntag in einer in helle Sonne getauchten, voll besetzten Ausstellungshalle des Skulpturenparks Waldfrieden. Zwischen monumentalen Arbeiten von Markus Lüpertz kam er ins Gespräch mit Alexa Hennig von Lange, die selbst Autorin und Fan seiner Bücher ist, der „Dringlichkeit und Nachwollziehbarkeit seiner Sprache“ wegen. Gelegenheit, sein neues Buch vorzustellen, das Ende Juni erscheint, darüber zu reden und daraus vorzulesen.

Volltreffer? Mit dem Schön-Lügen kennt sich Kirchhoff seit Kindesbeinen aus. Im Alter von sechs Jahren sei er aus Hamburg in den Schwarzwald und mit zehn Jahren ins Internat verpflanzt worden, erzählt er, sei Außenseiter gewesen, der über das Erfinden und Erzählen von Geschichten sein „eigenes Universum“ erschaffen habe, in dem er sich sicher gefühlt habe. Allerdings ging es dabei um Begabung, ernstes und wahrhaftes Erzählen, allenfalls etwas Flunkerei, nicht aber Täuschung.

Also weiter. Wie steht es mit der Wahrhaftigkeit im neuen, Buch, das den Titel „Dämmer und Aufruhr — Roman der frühen Jahre“ trägt und aus dem eigenen Leben des bald 70-Jährigen erzählt (das Wort „autobiographisch“ vermeidet Kirchhoff). Das wie eine einzige endlose Rückerinnerung sei, ohne das Leben 1:1 nachzuerzählen, meint von Lange. Quelle und Basis des 480 Seiten starken Romans sind einige wenige, kleine, schwarz-weiße Fotos mit „enormer Aura“ und großer Bedeutung, von denen er sich habe tragen lassen, erzählt Kirchhoff. Sein Weg, um sich in das Vergangene, in eine Art „Gefühlsraum“ hineinzuschreiben. Dieser beginne im Alter von drei/dreieinhalb und ende mit 28 Jahren. Dabei stellte Kirchhoff erstaunt fest, dass „es umso schwieriger wurde, je mehr ich in das Alter der genauen Erinnerung kam“. Das Buch ende bewusst da, wo die Karriere — mit dem ersten Vertrag bei Suhrkamp — beginne, weil ihm das Danach nicht mehr für die Erzählung wichtig gewesen sei: „Mich interessiert der verschlungene Weg von der Kindheit bis zum Erwachsenwerden, die Geschichte der Sexualität in Verbindung mit der Geschichte des beginnenden Schreibens.“

Dieses Schreiben wiederum bewegt sich für Kirchhoff, der auch Schreibcoach ist, nicht in den Kategorien Wahrheit oder Unwahrheit. Vielmehr habe der Schriftsteller, im Unterschied zum Journalisten, der die Wahrheit zu berichten habe, die Aufgabe, den Leser in eine Geschichte hineinzuziehen und müsse dafür die richtige Sprache finden.

Eine Fähigkeit, die leider in heutiger Zeit zunehmend verloren gehe. Schreiben sei Handwerk plus eigener Abgrund, eines ohne das andere reiche nicht: „Nur lauter richtiger Sätze schreiben, ist nichts. Wer nur Abgrund hat, wird nie fertig“, sagt der Autor zur großen Erheiterung seines Auditoriums. Er selbst will durch das Schreiben sensibler und freundlicher geworden sein (auch wenn Frau und Tochter das wohl nicht so sähen): „Ich habe mich schreibend verändert, das ist das Beste“, lächelt er. Manche Romanfiguren seien ihm so ans Herzen gewachsen, dass er sich nicht von ihnen habe verabschieden können. Und manchmal glaube er auch an dem Ort zu sein, über den er da gerade schreibe. Wer will da noch wissen, ob die Geschichte wahr ist.