Norbert Richtsteig zeigt die ganz hohe Improvisationskunst

Mit einem sommerlichen Orgelkonzert in der Antoniuskirche eröffnete der Organist den diesjährlichen Zyklus. Mitgebracht hatte er nur einen Zettel mit einigen Musikthemen.

Foto: Anna Schwartz

Vorbei sind die Zeiten, als im Bereich der Klassik das Improvisieren en vogue war. Etwa wurde im Barockzeitalter über eine Basslinie zu einer Melodie improvisiert. Oder Kadenzen wurden zu Wolfgang Amadeus Mozarts Zeiten aus dem Stegreif gespielt. Heute traut sich kaum ein Interpret mehr an diese Kunst heran, auf der vieles in der europäischen Klassik fußt. Es hat sich durchgesetzt, möglichst perfekt und im Sinn der Komponisten die Punkte auf den fünf Hilfslinien - auch fest notierte Noten genannt - zu spielen.

Es gibt aber eine große Ausnahme. Organisten pflegen nach wie vor dieses Metier. Einer von ihnen ist Norbert Richtsteig. Er eröffnete in der Antoniuskirche den diesjährigen Zyklus „Sommerliche Orgelkonzerte“ und brachte nur einen Zettel mit zu der großen Klais-Orgel, auf dem lediglich ein paar Musikthemen standen. Die ganz hohe Improvisationskunst erfordert einen spielerisch leichten Umgang mit den Musikstilen aller Epochen. Richtsteig ist solch ein Meister. Kein Bach, kein Brahms, kein Rheinberger, kein Reger oder wie all die anderen großen Orgelkomponist heißen. Nur der einstige Domorganist an der Hohen Domkirche zu Aachen war zu hören, so wie es ihm aus dem Moment heraus in den Sinn kam. Anhand der uralten Melodie über „Mein ganzes Herz erhebet dich“ kreierte er nach barockem Muster ein Präludium mit einer sich anschließenden Fuge. Das Präludieren mit dem Cantus firmus im Bass war schon formvollendet.

Wie er aber damit eine vierstimmige Fuge nach allen Regeln der Kunst schuf, machte erst recht baff. Doch damit nicht genug: Er kehrte das Thema um (horizontale Spiegelung) und fu-gierte es auch. Ebenso schlüssig kam eine virtuos vorgetragene Toccata im modernen Stil, basierend auf einem kernigen Motiv, aus den Pfeifen.

Außerdem schuf er eine hochromantische Orgelsinfonie mit einem enormen Ausmaß von einer etwa 40-minütigen Dauer. Hochromantisch war sie neben der großen Palette an Klangfarben auch deswegen, weil er die tradierte Viersätzigkeit hin zu fünf Abschnitten erweiterte und diese nicht in einer einheitlichen Tonart spielte. Wie aus einem Guss trug er sein Mammutwerk vor unter Verwendung aller damals üblichen Satztechniken wie die erweiterte Sonatenhauptsatzform.

Kein Wunder dass das Publikum Richtsteig mit stehenden Ovationen für diesen großartigen Improvisationsnachmittag feierte, wofür er sich mit einer kurzen Zugabe bedankte. has