Odysseus reist durchs Gewächshaus

Miko Greza legt den griechischen Sagenhelden als vom Krieg traumatisierten Mann an. Regisseur Torsten Krug hat eine eigene Fassung des Homer-Epos’ erstellt.

Foto: Sebastian Eichhorn

Wuppertal. Die Zuschauer machen sich mit Odysseus auf die Reise. Miko Greza vom Schauspiel-Ensemble beginnt sein Solostück frei nach Homers „Odyssee“ im Kalthaus des Botanischen Gartens, in dem allerlei riesige Kübel bei mindestens sechs Grad einen kleinen Irrgarten bilden. Anschließend geht es nach nebenan ins wohlig geheizte Warmhaus. Zwischen üppigen Bananenstauden und blühendem Frauenschuh können sich die Zuschauer im Raum verteilen. „Es gibt Sitzgelegenheiten, aber ich finde es spannender, wenn jeder seine eigene Perspektive findet“, sagt Regisseur Torsten Krug.

Seit dem Frühjahr hat er sich intensiv mit dem Vers-Epos beschäftigt, das Homer zugeschrieben wird: „ein Riesen-Urtext der europäischen Literatur“. Nur: Was fängt man für ein Schauspieler-Solo mit 12 000 Versen und einer üppigen Personalliste an? Nach Lektüre diverser Bühnenfassungen hat Krug mit Schauspiel-Intendantin Susanne Abbrederis entschieden, dass er eine eigene Version erstellt. Die orientiert sich zwar an der klassischen Übersetzung von Johann Heinrich Voß von 1781, doch Krug hat manche Kapitel in Prosa zusammengefasst und einiges gestrichen: „Die wichtigsten Handlungsstränge haben wir aber beibehalten.“

Er setzt auch nicht auf die Abenteuergeschichte des listenreichen Königs von Ithaka oder auf bildungsbürgerliche Anspielungen, sondern sieht die Geschichte als die eines traumatisierten Mannes, der zehn Jahre Trojanischen Krieg und zehn Jahre Irrfahrten über das Mittelmeer hinter sich hat. Das aber wohl nur bedingt: „Na ja, ein Jahr war er bei Nausikaa, ein Jahr bei Kirke und sieben Jahre bei Kalypso. Die Fahrt selbst war also im Verhältnis nicht so lang.“ Susanne Abbrederis sieht in dem Stück auch einen „Beitrag zur philosophischen Frage: Was bedeutet Krieg? Wenn man die Bilder von Aleppo sieht, kann man sich vorstellen, wie Hellas nach zehnjährigem Krieg ausgesehen hat“.

Schauspieler Miko Greza hat den Text als Kind gelesen, „wieder und wieder. Ich war begeistert und habe nicht eine Zeile hinterfragt“. Erst jetzt habe er gemerkt, wie viel Gewalt von Odysseus ausgehe — etwa wenn er bei Skylla und Charybdis sechs Gefährten opfert, ohne mit der Wimper zu zucken, und bei seiner Heimkehr auf die Insel Ithaka die 21 Männer, die seiner Frau umwerben, „einfach umnietet“. Mittlerweile sei er auch entsetzt über sich, weil er als Kind geglaubt habe, dass sich in 20 Jahren Abwesenheit nichts an der Haltung von Frau und Sohn geändert haben soll.

Krug, der sich für das Stück auch mit dem Thema Demenz beschäftigt hat, legt Odysseus als Mann an, der viele schlimme Dinge erlebt hat und immer wieder darüber sprechen muss.

30 Zuschauer sind pro Vorstellung in den Gewächshäusern zugelassen. Intendantin Abbrederis nennt es „eines unserer kleinen, feinen Spezialprojekte, die wir neben unseren ordnungsgemäß abgelieferten großen Produktionen im Theater und Opernhaus machen“.

Bis Mai können die Bühnen das Haus abends für „Odyssee“-Vorstellungen nutzen: „Wenn es länger hell bleibt, fangen wir halt später an“, sagt Susanne Abbrederis. Denn die Magie der nur punktuell beleuchteten tropischen Gewächse entfalte sich erst bei Dunkelheit.