Forum der Bergischen VHS Politische Runde: Wuppertal ist altindustriell, aber hat Zukunft

Wuppertal · In der Bergischen VHS wurde diskutiert, wie gut die Stadt für die kommenden Herausforderungen aufgestellt ist.

Altersarmut ist ein Problem in Wuppertal.

Foto: dpa/Stephanie Pilick

„Ist Wuppertal zukunftsfähig?“ lautete die Frage am Montagabend in der Politischen Runde im Forum der Bergischen VHS. Moderator Stefan Seitz konnte Martin Hennicke von der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie den Wuppertaler Sozialdezernenten und Stadtdirektor Stefan Kühn auf dem Podium begrüßen. Kühn beantwortete die Frage des Abends mit einem klaren Ja, was kaum einer anders erwartet hätte. Der gebürtige Wuppertaler hatte allerdings auch gute Gründe dafür.

Zuerst einmal brachte aber Martin Hennicke den knapp 20 Besuchern die Studie „Ungleiches Deutschland“ näher. Dieser „sozialökonomische Disparitätenbericht“, so die fachliche Bezeichnung wurde im September von der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgelegt (die WZ berichtete) und enthält Vergleichsdaten aller Städte und Kreise aus ganz Deutschland zu Aspekten wie Lebenserwartung, Einkommen, Produktivität, medizinische Versorgung und vielen weiteren Kategorien.

Die Städte im Süden, also in Baden-Württemberg und Bayern, schneiden dabei am besten ab, sind „Wirtschaftsmotoren“, wie Hennicke sagte. Aber auch sie haben ein zunehmendes Problem: die sogenannte Exklusionsgefahr durch Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen etwa aufgrund der Vermögensunterschiede. Unter diesem Blickwinkel weist Wuppertal gesunde Werte auf, war in der VHS zu hören. NRW ist indessen – mit Ausnahme von Düsseldorf und dem Kreis Coesfeld — von „altindustriellen Städten“ geprägt, wozu auch und gerade Wuppertal zählt.

Die Stadt hat also mit strukturellen Herausforderungen zu kämpfen, ähnlich wie die Ruhrgebietsstädte Essen, Duisburg und Oberhausen oder auch die niederrheinische Metropole Krefeld. Hohe Kinder- und Altersarmut und kommunale Verschuldung, geringe Wahlbeteiligung und mit 79,99 Jahren eine leicht unterdurchschnittliche Lebenserwartung sind weist Wuppertal als Schattenseiten auf. Ein überdurchschnittlicher Anteil an hoch qualifizierten Beschäftigten, gute Breitbandversorgung für schnelles Internet und eine gute Erreichbarkeit von Allgemeinmedizinern sind die positiven Seiten der Wuppermetropole.

„Die Übernahme
der Altschulden ist ein Muss“

Richtig punkten kann Wuppertal zum Beispiel mit Blick auf die überdurchschnittliche Gründungsintensität (neuer Unternehmen) und auf die Patentanmeldungen, die statistisch in der Studie je 100 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigter verbucht werden. Hier liegt Wuppertal mit 429,09 bundesweit im oberen Bereich. Bei den Patentanmeldungen in den Bundesländern wird NRW demnach nur von Bayern und vom sprichwörtlichen „Land der Tüftler und Erfinder“, also von Baden-Württemberg überflügelt. Dennoch gehört Wuppertal zu den Städten, in denen geringe kommunale Sachinvestitionen etwa in Kitas und Schulen, eine deutlich zu geringe Betreuungsquote bei Kleinkindern (U3) und vergleichsweise wenig Nutzung erneuerbarer Energien auffällt, wie die Studie belegt. Als ein Hauptproblem für Städte wie Wuppertal wurde am Montag das Altschuldenproblem benannt. „Es gab das Versprechen von Bund und Ländern, die Altschulden der Städte und Gemeinden zu übernehmen und sie damit stark zu entlasten. Das wurde in NRW bislang noch nicht eingelöst“, erklärte Martin Hennicke. Dies sei aber ein Muss, da sonst kein Entrinnen aus der „Vergeblichkeitsfalle“ möglich werde. Diesen Begriff hatte Stefan Kühn zuvor gebraucht, um den Prozess zu beschreiben, bei dem eine Kommune zwar einiges an Geld investiert, aber trotzdem auf keinen grünen Zweig kommt. In Wuppertal seien in Zeiten mit mehr Geld in den Kassen 350 neue Spielplätze geschaffen worden, für deren Pflege aber nachher kein Geld mehr da war, so Kühns Exempel.

Wie unterschiedlich sich das im Einzelnen darstellt und wie relativ das Hantieren auch mit Millionenbeträgen sein kann, verdeutlichte Kühn an einem Beispiel der Weltfinanzkrise vor rund 15 Jahren. Damals klaffte laut Kühn durch dramatische Einbrüche bei den Steuern ein Defizit von 200 Millionen Euro im Haushalt der Stadt Wuppertal. 200 Millionen Jahresüberschuss hingegen wies zur gleichen Zeit der Haushalt der Stadt München auf, deren damaliger Bürgermeister Christian Ude aber mit leichenbitterer Miene verkündete: „Die Krise hat uns erreicht.“ Die Relativität der Zahlen machte Kühn auch im Bereich der U3-Betreuung geltend. Vor zehn Jahren habe es 1000 Betreuungsplätze zu wenig in Wuppertal gegeben. Seitdem seien 4000 neue Plätze geschaffen worden, dennoch gebe es nun 1500 Plätze zu wenig. Mathematisch gehe das im Grunde nicht auf, aber die Zahl der Kinder und das verbriefte Recht auf einen Kitaplatz hätten eben für diese Entwicklung gesorgt, so der Sozialdezernent Kühn: „Doch die rechnerische Wahrheit hilft den Menschen nicht, die das Problem haben, keinen Platz zu finden.“ Die Investition in die Infrastruktur und nicht zuletzt auch in den Kulturbereich seien aber unabdingbar, wenn eine Stadt sich gedeihlich entwickeln wolle. Dazu sei auch die Aufnahme von Schulden keine Sünde, sondern – vernünftige Investitionen vorausgesetzt – fast schon das Gebot der Stunde.