Kultur Premiere im Theater am Engelsgarten

Die Uraufführung von „Die Paketaufstände von Wuppertal“ fand beim Engelsforum statt.

Matthias Burchardt bei seinem Vortrag.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Requisiten waren mit steriler Präzision abzulegen und vom nächsten Schauspieler nur mit anderthalb Metern Abstand neu zu nehmen: Nach Corona-Regeln Theater zu proben, war offenbar eine Wissenschaft für sich. Beim „Engelsforum“ im Theater am Engelsgarten gab es nicht nur Auskunft dazu, sondern auch einen Film zum Stück „Die Weber“ – plus streitbare Deutlichkeit zur Ambivalenz einer alles beherrschenden Hygiene.

Wie der Gesundheit insbesondere die Kultur untergeordnet worden sei, überschrieb der Kölner Philosoph und Anthropologe Matthias Burchardt mit dem Begriff „homo hygienicus“.   

Neben dem bekannten Trugschluss, aus der Nichtsichtbarkeit aufs Nichtexistieren des Virus zu schließen, sah er auch im umgekehrten Denken  einen Logikfehler: „Weil man es nicht sieht, muss es überall da sein.“

Das Corona-Verordnungswesen verglich er mit dem Rigorismus von Kants Kategorischem Imperativ: An die Stelle der „allgemeinen Gesetzgebung“, die der Denker einst als Ziel allen Handelns forderte, trat für Burchardt nun die unbedingte „Unterbindung von Infektion.“

Hier wie auch beim Rest des Abends gab es ungewohnte Reflexionen zur Pandemie – von Theaterseite auch mit Bitterkeit, doch vor allem kreativ. Dabei ein Solo des Ensemblemitglieds Martin Petschan, der während Burchardts Vortrag eifrig dessen Mikrofon desinfizierte.

Im Mittelpunkt stand die Premiere des Films „Die Paketaufstände von Wuppertal“ von Martin Kindervater und Jan Krämer: Er sponn die Idee der Inszenierung „Die Weber“ auf der Leinwand weiter, nachdem durch den Lockdown nur drei Aufführungen möglich waren.

Laut Abspanntext wollte man so etwas „vom Geist dieser Arbeit bewahren.“ So entstand eine erfundene Doku („Mockumentary“). Ansatz des Stücks war die Verlegung von Hauptmanns Drama in ein modernes Paketzentrum. Im Film nun eine sehenswerte satirische „Reportage“: Der Fabrikant entdeckt einen günstigen Leerstand fürs Lagern und Packen: das Opernhaus – vom Lockdown „hilfreich“ lahm gelegt.

Zwischen Vortrag und Film stand eine Gesprächsrunde mit Intendant Thomas Braus, Dramaturgin Barbara Noth sowie dem Regisseur Henri Hüster. Dessen schon begonnene Probenarbeit zum Tschechow-Stück „Drei Schwestern“ war mit einer massiven Verschärfungsphase kollidiert.

Als Maskenpflicht und mehr fürs Proben verordnet wurde, sei er zur Einschätzung gelangt: „Das kann ich mir jetzt nicht mehr vorstellen.“ Man brach ab.

Reserviert zeigten die Teilnehmer sich zur Frage, ob Theater „systemrelevant“ sei. Braus: „Ich finde, diese Frage darf man nicht stellen.“ Generell bestand Einigkeit: Vordergründig Erfüller selbst honoriger „Funktionen“ will Theater gar nicht sein.

Wobei gerade der Film dennoch bewies, dass die Kunst sich sehr wohl aktuellen Themen wie Ausbeutung stellen kann und will. Tenor des Abends schien – bei allem gebotenen Medizin-Vorbehalt: Man muss sie nur frei machen lassen.

Ein geplanter zweiter Novembertermin der Reihe muss entfallen. Das nächste „Forum“ im Theater am Engelsgarten findet am Mittwoch, 15. Dezember um 18 Uhr statt: Matthias Burchardt spricht mit der Schriftstellerin Julia von Lucadou über die Frage „Was macht den Menschen menschlich, wenn er perfekt funktioniert?“