Reise in die Wuppertaler Unterwelt
Wuppertaler Abenteuerlustige um Karl-Heinz Kleine waren in einem alten Luftschutzstollen.
Barmen. Der Eingang ist zugemauert, ein Loch klafft in der Ziegelwand. Gerade so groß ist es, dass sich ein normal gewachsener Mensch hindurch zwängen kann. Dann steht er im abschüssigen Stollen, der wie ein Fußgängertunnel in den Untergrund führt. Kühle, nur leicht modrige Luft empfängt den Eindringling — so fühlt man sich beim Einstieg in den langgezogenen Luftschutzstollen. Als Entdecker des Rests einer Welt, die schon so lange Zeit Geschichte ist.
Metertief unter der Erdoberfläche zieht sich der Stollen durch das Gestein. Alte Leitungen führen noch immer entlang der Wände, die grob in den Stein gehauen sind. Unter der Decke hängen fast zerfallene Leuchten. Unterschiedliche Rostfarben haben die betagten Gerätschaften in fortgeschrittenen Korrosionszuständen nach mehr als 70 Jahren fast unkenntlich gemacht.
Alte Luftfilter, die Reste einer Toilettenanlage, Gestühl und jede Menge weggeworfener Flaschen sind auf dem Weg durch den Stollen zu sehen. Dazu die Reste einer Art Lager, dutzende Apothekengläser, umgeworfen und teils zerbrochen.
Geschätzte 100 Meter weit reicht der Stollen, dann endet der Weg vor einer weiteren Ziegelwand — diesmal intakt. Also Rückmarsch, an vielen Stellen tropft es. Ansätze von Stalagmiten pfropfen auf dem Boden und sehen aus wie Seepocken. „Als Kind war ich oft hier“, berichtet Gerd Hover, „mit meinem Vater“. Der war als Rangiermeister bei der Bahn vertraut mit dem Gelände und seinem Innenleben. Nach Kriegsende wurde es für die Kinder zum Abenteuerspielplatz. „Wir haben dort Verstecken gespielt“, sagt Gerd Hover und lacht bei der Erinnerung.
Gestern war er erneut im Stollen, gemeinsam mit seinen Freunden: einer abenteuerlustigen Gruppe von sieben Wuppertalern um den rührigen Initiator Karl-Heinz Kleine. Dem hat die unermüdliche Suche nach dem berühmten Bernsteinzimmer schon vor Jahren zu überregionaler Bekanntheit verholfen. Nach 30 Jahren in Wuppertal ist Kleine nun in die ostdeutsche Heimat zurückgekehrt, doch seiner Leidenschaft in Sachen Schatzsuche hat die Entfernung keinen Abbruch getan.
Im Gegenteil: „Wir telefonieren täglich miteinander“, sagt einer seiner Mitstreiter, Wilfried Fischer. Er war beim gestrigen Ausflug in den Stollen ebenfalls dabei, und auch er begeistert sich schon seit seinen Kindertagen in Heckinghausen für alte Tunnel, Stollen und Bunker: „Ich habe allein 360 Anlagen in Wuppertal entdeckt“, sagt er, und er kenne weit mehr, als offiziell gelistet seien. „Was daran liegt, dass viele sich auf Privatgelände befinden“, erklärt Fischer.
Ihm macht es einfach Spaß, die verlassenen Räume zu erkunden und dabei beispielsweise alte Gebrauchsgegenstände zu entdecken. Im Stollen waren das gestern untern anderem ein Portemonnaie mit längst ungültigen Geldmünzen, Haarkämmchen, Murmeln und uralte Bierflaschen, wie sie Dennis Issel auf dem Foto zeigt.
Viele Zugänge seien verschüttet, Unterlagen in den Wirren des Kriegs zerstört worden oder verlorengegangen - auch deshalb gebe es in Wuppertal noch viele unentdeckte Stellen.
Karl-Heinz Kleine ist nach wie vor davon überzeugt, dass der große Schatz im Bergischen Land sein könnte, womöglich verteilt auf verschiedene Orte. „Jeder Stollen, jeder Bunker ist es wert, dass wir dort nachschauen“, betont er. Seit 2008 fahndet der umtriebige Rentner schon nach dem Bernsteinzimmer. Die WZ berichtete als erste über Kleine und seine Theorie, nach der der legendäre Schatz — vermuteter Wert etwa 250 Millionen Euro - in Wuppertal versteckt sein könnte (siehe Kasten).
Wobei es Kleine vor allem um die Jagd nach dem Schatz geht — weniger um Geld. Für ihn wäre der tatsächliche Fund ein sagenhafter Traum, der in Erfüllung ginge. Natürlich wird er weiter suchen: „Aber hallo - na klar!“ bekräftigte Kleine gestern gut gelaunt am Telefon. „Wenn ich ganz falsch läge, dann hätten doch die anderen längst etwas gefunden.“