Die Menschen in der Südstadt schreiben ein neues Kapitel
Egal ob Demographie, Einzelhandel oder Gastronomie, das Quartier befindet sich in einem langsamen aber stetigen Wandel.
Südstadt. Wer mag, kann Stufen zählen: vom Hauptbahnhof hoch zur Südstadt, die langen flachen Absätze vom Bürgersteig der unteren Kieselstraße und dann die Treppe Kieselstraße. Noch ein paar Schritte bis zur Kreuzung Gambrinusstraße und dann einmal in alle Richtungen geschaut. Rechtwinklig verlaufen die Straßen, das Viertel wurde am Reißbrett geplant für die vielen Menschen, die mit der Industrialisierung ins Wuppertal kamen. Die meisten Häuser, fast alle dreistöckig, stammen allerdings aus der Nachkriegszeit. Ihre Vorgänger haben die Bomben des Zweiten Weltkriegs nicht überstanden. Sichtachsen tun sich auf, da auf den westlichen Teil der Südstadt, beherrscht von der Kirche St. Suitbertus, dort der Blick nach Norden: alte Bahndirektion, Kirche am Kolk, Elberfelder Rathaus, am Horizont Attadöschen und Fernsehturm.
Geht man weiter durch die Südstadt, kann man sehr wohl auf ältere Häuser stoßen. „1925“ steht über einem Torbogen an der Hospitalstraße. Fassaden ohne Stuck, dafür klare klassizistische Linien. Geht man durch das Tor, steht man vor einem überraschend stattlichen Haus, kein gewöhnliches Hinterhaus. Zwei große Gärten kann man sehen, die man von der Straße aus nicht vermutet hätte. Weiter links erzählt ein Sheddach von früherem Gewerbe. Und gegenüber hat sich tatsächlich jemand einen Dachgarten angelegt.
Unterwegs
im Quartier
Im Rücken geht ein Fenster auf, Waltraud Gonsch schaut heraus. „Gut lebt es sich in der Südstadt“, sagt sie. „Man kann alles zu Fuß erreichen, Apotheke, Bäcker, Fleischer.“
Biegt man in die Weststraße ein, findet man Läden. Einen Friseur, seit 52 Jahren schneidet Jochen Ranickel den alteingesessenen Südstädtern die Haare. „Die neu zugezogenen, die kommen nicht hierher“, sagt er. Apotheker Gerhard König von schräg gegenüber sagt es so: „Viele von den alten Südstädtern sterben langsam aus. Dafür haben wir Zuzug aus aller Herren Länder.“ Und mit den Läden, das werde weniger. An der Ecke Weststraße/Kieselstraße liegen sich zwei gegenüber: die Bäckerei Steinbrink und die Bäckerei Seyran. Konkurrenz? „Nein“, sagt Marlies Söffing, Verkäuferin bei Steinbrink. „Schon wegen des unterschiedlichen Angebots.“ Die Auslagen bei Steinbrink: Brot, Brötchen, Kuchen. Die Auslagen bei Seyran erinnern an eine Patisserie. Gemischte Kundschaft bei beiden — eine der Kundinnen bei Steinbrink trägt Kopftuch; die Frau, die bei Seyran einkauft, scheint zu den alteingesessenen Südstädtern zu gehören.
„Schlupp“ heißt die Kneipe an der Ecke Brüningstraße. Auf der Tafel „Tagesgericht“ steht mit Kreide geschrieben: „Kaltes Schaumsüppchen von Hopfen und Gerste, vegan“, darunter ein Smiley. Und der Aushang mit den Öffnungszeiten trägt die Filzstift-Notiz „bis Ende“. Und weiter geht’s. Noch hat man den Duft der Bäckereien in der Nase, da liegt schon etwas neues Vielversprechendes in der Luft — Ecke Hopfenstraße erreicht man die Metzgerei Uhlemeyer. Einige ältere Südstädter sitzen dort beim Mittagstisch. Und auffällig viele Handwerker verlassen mit gar nicht kleinen Tüten den Laden. Trotzdem, etliche kleine Ladenlokale stehen leer, die Scheiben mit Papier verhängt. In einem aber arbeitet ein Anstreicher. Kommt da was rein? „Ja“, sagt der Mann. „Ein Nagelstudio oder ein Büro. Seit 30 Jahren ist hier nichts passiert.“
Nicht wenige Menschen sind auf den Straßen unterwegs, junge und alte. Und wie der Apotheker schon sagte: aus aller Herren Länder. Die Südstadt hat schon manches Kapitel geschrieben, da schlägt sie ein weiteres auf.