Frühsport im Dienst der WZ-Leser

Horst Herrchen und seine Frau Rosemarie sind als Zusteller unterwegs und bringen unseren Lesern die tägliche Morgenlektüre.

Wichlinghausen. Ein neuer Tag. Noch ist es ruhig in Wichlinghausen, aber nicht jeder liegt noch im süßen Schlummer. Ein rüstiger Mann in Cordhose und Wolljacke nimmt auf der Treppe zwei Stufen auf einmal. Schnell ist er an der Haustür angekommen und steckt vier Zeitungen in die Briefkastenschlitze — auf die Namensschilder muss er schon lange nicht mehr schauen, er kennt sie auswendig.

Im Bezirk Wichlinghausen sorgen Horst Herrchen und seine Frau Rosemarie seit mehr als 35 Jahren dafür, dass die Westdeutsche Zeitung pünktlich jeden Morgen in den Briefkästen der Abonnenten landet. Und dort, wo es keinen Briefkasten gibt, wissen sich Herrchen und seine Kunden zu helfen. „Hier wohnt eine ältere Dame“, erklärt der Zeitungsbote und zeigt auf eine Haustür. „Schon seit zehn Jahren hängt sie jede Nacht eine Plastiktüte raus.“

Für ihn ist es Ehrensache, die WZ unversehrt beim Leser abzuliefern, denn Herrchen ist überzeugt: „Eine nasse oder zerrissene Zeitung will doch keiner lesen.

Das Ehepaar Herrchen ist ein eingespieltes Team. Mitten in der Nacht, wenn die Stadt so still ist wie sonst nie, schlägt die Stunde der beiden: sechsmal in der Woche warten sie gegen 3.30 Uhr an der Ablagestelle Oststraße auf ihr Paket. Mehr als 200 Zeitungen verteilen die Rentner im Schnitt — und das, obwohl sie die 70 weit überschritten haben. Ob es auch mal Tage gibt, an denen sie gern im Bett liegen bleiben würden?

„Nein, so etwas kennen wir nicht“, sagt Rosemarie Herrchen. Sie ist in einer neongelben Weste unterwegs. Reflektoren sorgen dafür, dass Autofahrer sie auch in der Dunkelheit sehen können. Noch ein Schlenker, noch ein Briefkasten, noch eine Zeitung, und sie trifft wieder auf ihren Mann, der im gleichen Moment aus einem Vorgarten tritt. „Da bist du ja wieder“, ruft sie ihm fröhlich entgegen.

„Wir beliefern drei Bezirke und haben ein ausgeklügeltes System entwickelt“, verrät Horst Herrchen. Dennoch gibt es immer wieder Überraschungen. Heute Nacht ist es eine Probezeitung. „Die 79 — das muss auf der anderen Straßenseite sein“, mutmaßt Rosemarie Herrchen. Die Häuser mit den geraden Nummern hat sie bereits abgelaufen. Ihr Mann schaut auf die Lieferscheine und vergleicht die Adresse. Kurz nachgedacht, den Wagen gewendet und schnell hat auch der Neuzugang seine WZ.

Durchatmen und weiter, erst die Hälfte der Zeitungen ist verteilt an diesem kalten Mai-Morgen. Schnell in die Hermannstraße einbiegen und den Rest der Tour in Angriff nehmen. Mittlerweile ist es halb fünf — an der Bushaltestelle stehen die ersten Frühaufsteher. Langsam wird es hell, kalt ist es noch immer. „Hier oben sind wir am höchsten Punkt unserer Tour“, erklärt Horst Herrchen. „Im Winter war das eine Katastrophe“, erinnert er sich.

Aber die Zeitung hat er dennoch ausgetragen — seine Abonnenten verlassen sich auf ihn. „Früher habe ich bei den Kunden am Monatsende auch noch selbst kassiert“, blickt er zurück. Das sei das Schönste an dem Job gewesen. Da gab es hier und da einen Kaffee und etwas Gebäck. Und auch heute kennt Herrchen viele seiner treuen WZ-Leser noch persönlich, denn mancher wartet an der Haustür auf seine Zeitung.

Doch heute sind die frühen Vögel unter den Abonnenten eher rar. Und während nach und nach die Lichter in den Häusern angehen, leert sich der Kofferraum von Herrchens Ford mehr und mehr. „So, jetzt noch schnell in die Tütersburg und dann haben wir es geschafft“, sagt Horst Herrchen am Ende der heutigen Tour.

Ans Aufhören aber denkt er noch lange nicht: „Das Austragen ist mein Frühsport und hält mich jung.“ Und tatsächlich: Beobachtet man den 79-Jährigen, wie er die Treppen zu den Häusern hoch und runter läuft, ist ihm sein Alter nicht anzusehen. Die WZ hält eben fit.