Mit Herta Müller verbindet sie ein gemeinsames Schicksal
Ingeborg und Andreas Dieners freuen sich über den Nobelpreis für Herta Müller. Die beiden kamen 1987 aus Siebenbürgen.
Vohwinkel. Der Mann aus dem Kulturamt war komplett ahnungslos. "Er wusste nicht, wer Lessing war", sagt Ingeborg Dieners, und darüber lacht sie heute noch. Obwohl die Sache auch anders hätte ausgehen können. Im Rumänien des Diktators Ceausescu war es riskant, allzu kritisch, kulturell engagiert oder politisch aktiv zu sein. Erst recht, wenn man wie Ingeborg Dieners eine Theatergruppe leitete - und zu allem Überfluss auch noch der deutschsprachigen Minderheit angehörte. "Doch ich habe es immer geschafft, dass wir nicht nur erlaubte Stücke aufgeführt haben", sagt sie.
Geboren und aufgewachsen ist die heute 72-Jährige in Hermannstadt, rumänisch: Sibiu. Siebenbürgen, Donauschwaben und Banat sind Begriffe, die wieder häufiger fallen, seit bekannt wurde, dass die Schriftstellerin Herta Müller den Nobelpreis für Literatur erhält.
"Atemschaukel" heißt das vielbesprochene und vielerorts bereits vergriffene Werk der Autorin. Ingeborg Dieners hat es schon im August gelesen - gleich nachdem das Buch erschienen war. "Ich glaube, ich habe es in Vohwinkel als erste gekauft", sagt sie lachend. Und ja, natürlich kennt sie Herta Müller seit langem. "Nicht persönlich, klar, aber ich habe immer verfolgt, was sie macht." Als die Neuigkeit vom Nobelpreis durch die Nachrichten ging, rief ihre Schwester aus Stuttgart sofort an. Ingeborg Dieners hat den Fernseher eingeschaltet, und ihr Mann Andreas das Internet durchforstet.
Herta Müller steht für ihr Thema: das Schicksal der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien während und nach dem Zweiten Weltkrieg. "Es ist großartig, wie sie es schafft, über ein ernstes und trauriges Thema so poetisch zu schreiben", sagt Ingeborg Dieners. Gleich am Tag nach der Bekanntgabe des Preises ist die Vohwinkelerin losgezogen und hat alle Zeitungen mit Artikeln zu Herta Müller gekauft.
"Sie ist 1987 nach Deutschland gekommen - genau wie wir." Auch ansonsten gibt es Parallelen. Ingeborg Dieners Mutter wurde ebenfalls nach Russland deportiert, kam zur Arbeit in ein Bergwerk. "Sie musste drei kleine Kinder zurücklassen, ich war sechs, mein Bruder fünf, meine Schwester ein Jahr alt." Krank und entkräftet kehrte sie Jahre später zurück "und ist jung gestorben".
Viele der deutschsprachigen Bewohner Rumäniens seien verschleppt worden, verfolgt und unterdrückt, in praktisch jeder Familie habe es Opfer gegeben. "Wir haben alle dasselbe erlebt." Was Ingeborg Dieners am meisten beeindruckt: "Herta Müller hat den Mut, es publik zu machen. Ich bin glücklich, dass dieser Aspekt der Geschichte des Zweiten Weltkriegs dadurch bekannter wird."
Nur darum gehe es, sagt Andreas Dieners. Nicht um Vergeltung, Ausgleich oder Besitzansprüche: "Wir haben kein Heimweh, und wir wollen auch nicht zurück." Die Familie lebt gern in Vohwinkel. Beide Kinder sind hier zur Schule gegangen, haben studiert. Andreas war zehn Jahre lang Küster und Ingeborg genauso lange Lehrerin. Rumänien ist weit weg und ohnehin nicht mehr so wie in ihrer Erinnerung. "Ich trage meine Heimat im Herzen", sagt Ingeborg Dieners.
An ihre Theaterzeit aber denkt die resolute Dame gern zurück. Mit Stücken wie "Der verkaufte Großvater", "Charleys Tante" oder "Der Weiberfeind" ging die deutsche Theatergruppe in Rumänien während der Siebziger und Achtziger Jahre auch auf Tournee. "Ich habe mir alles selbst beigebracht, war Intendantin und Regisseurin zugleich und habe auch die Kostüme besorgt." Nicht immer sei das leicht gewesen, "und ich konnte auch nicht alle Stücke durchsetzen. Aber es war eine sehr intensive Zeit".
Die beiden Vohwinkeler wünschen sich nun, dass Herta Müller und ihr Schaffen weltweit bekannt werden - und damit auch das große Thema der Siebenbürgen und Donauschwaben. "Wir sind zwar nur eine kleine, unbedeutende Minderheit", sagt Ingeborg Dieners. "Aber es ist unser Leben."