Ausgezeichnet Studentin erhält Preis für ihre Bachelorarbeit über eine französische Autorin und ihre Migrationsgeschichte

Wuppertal · Wenn Träume und Realitäten voneinander abweichen.

Michelle Miedtank interessierte sich schon als Kind für Frankreich und Sport.

Foto: Andreas Fischer

Migration und Integration sind in unserer schnelllebigen Welt ein Dauerthema. Vielfach haben Migranten mit Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen – so auch die französischsprachige Autorin Fatou Diome. In ihren Werken berichtet sie, wie sie aus dem Senegal nach Frankreich migrierte und welche Erfahrungen sie dort machte. Lehramtsstudentin Michelle Miedtank hat in ihrer Bachelorarbeit untersucht, wie Träume und Realitäten voneinander abweichen können und analysierte dafür die Kurzgeschichtensammlung „La préférence Nationale“ (dt. Eingeborene zuerst) und den Roman „Le ventre d‘Atlantique“ (dt. Der Bauch des Atlantiks). Der Verein der Freunde und Alumni der Bergischen Universität Wuppertal (Fabu) hat sie dafür nun mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet.

Die 22-Jährige studiert Französisch und Sport auf Gymnasiallehramt. „Das sind beides Fächer, die mir in der Schule schon immer unheimlich viel Freude gemacht haben“, berichtet sie. Französisch lernte sich erst ab Klasse 8, wollte aber den Leistungskurs wählen. Also nahm sie an einem zweimonatigen Austauschprogramm teil, besuchte eine Schule in Frankreich. Weil an ihrer Schule aber kein Leistungskurs zustande kam, wechselte die Neusserin an eine Schule in Düsseldorf. Schnell wurde dann auch klar, dass sie Französisch studieren wolle. In einem Seminar an der Bergischen Universität lernte sie die Werke der Autorin Fatou Diome kennen. Sie ist eine franko-senegalesische Autorin, die im Senegal geboren wurde. Sie emigrierte nach Straßburg, weil sie einen französischen Mann kennenlernte. „Das Thema hat eine hohe gesellschaftliche Relevanz, es geht um Migration und Fluchtbewegung. All das ist in unserem Alltag sehr präsent“, erklärt Michelle Miedtank.

Beide Werke sind autobiografisch geprägt, sie spiegeln die Migrationserfahrung der Autorin wider. „Es geht um die Herausforderungen, die mit der Migration einhergehen. Meine Fragestellung lautete, inwiefern die Autorin die Träume und Realtäten der Migrationserfahrung in ihren Werken kontrastiert. Man kann sehen, dass die Träume gar nicht mit den Realitäten übereinstimmen“, so die Studentin. „Oft träumt man von dem besseren Leben in Europa. Wenn man ankommt, merkt man, es ist nicht so toll, wie es in den Medien vermittelt wird.“

Ein Beispiel: Die Hauptperson in beiden Werken habe französische Literaturwissenschaft studiert. „Sie gilt eigentlich als sehr gebildet, aber das wird in Frankreich nicht anerkannt. Sie traut sich nicht, in diesem Beruf zu arbeiten und kommt nur schwer über die Runden“, fasst Miedtank zusammen. In einem Vorstellungsgespräch werde der Hauptfigur gesagt, dass man einen europäischen Typ suche. „Das fand ich sehr krass. Zwar vermischt die Autorin ihre Erfahrungen mit fiktiven Elementen, aber die Rassismuserfahrungen entsprechen der Realität.“ Im Roman erfährt der Leser, dass der Bruder der Hauptfigur ebenfalls nach Frankreich emigrieren möchte. Miedtank: „Die Ich-Erzählerin kennt jedoch die Schattenseiten und versucht, ihn davon abzuhalten.“

Die Werke stammen aus den Jahren 2001 und 2003. „Sie sind schon mehr als 20 Jahre alt und dennoch hochaktuell“, sagt Michelle Miedtank. In ihrer Bachelorarbeit hat sie verschiedene Personen analysiert. Zum Beispiel den Homme de Barbès (Mann aus Barbès), der von Frankreich zurück nach Afrika kommt und in idealisierter Weise aus seinem Leben berichtet. „Die Figur tut so, als wäre sie total reich gewesen. Barbès ist aber ein Stadtviertel in Paris, das sehr arm ist. Das klammert die Figur jedoch aus. Im Heimatdorf im Senegal hat er einen Fernseher und gilt als eine der wohlhabendsten Personen des Dorfes. Aufgrund dieser Erzählungen wird dieser Traum überhaupt erst geschürt, dass andere unbedingt nach Frankreich wollen“, so Miedtank.

Die Ich-Erzählerin in beiden Werken, die auch die Autorin widerspiegelt, befinde sich zwischen den Sprachen und den Kulturen. „Sie weiß nicht wirklich, wo sie hingehört. Sie wurde außerehelich geboren, wird deshalb im Heimatdorf nicht akzeptiert. In Frankreich wird sie aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft nicht respektiert. Im Laufe des Schreibens findet sie sich wieder. Sie kann keinen Teil zur Seite schieben und merkt, dass beides Bestandteil ihrer Identität ist“, fasst Miedtank zusammen.  Den Bruder hält sie erfolgreich davon ab, nach Frankreich zu gehen. „Hier sieht man, dass sich die Träume und Realitäten auch umkehren können.“

Frankofone Autorinnen seien selten Gegenstand der französischen Forschung, sagt Michelle Miedtank. Die gesellschaftliche Bedeutung sei aber wichtig. „Es gibt eine Theorie, die besagt, dass es eine Wechselwirkung zwischen Literatur und der außertextlichen Realität gibt. Das heißt, man kann die Realität als Ausgangspunkt nehmen für die Literatur, und die Literatur beeinflusst wiederum die Realität“, so die 22-Jährige.  Indem sie nun über die Werke spreche, könne sie die Gesellschaft beeinflussen.

Michelle Miedtank will sich weiterhin mit der französischen Literatur beschäftigen. Momentan befindet sie sich im Praxissemester im Master of Education und unterrichtet an einer Schule. Für die Semesterferien plant sie einen zweimonatigen Frankreichaufenthalt. In ihrem Forschungsthema sieht sie auch eine Parallele zur ihren Hobbys. „Ich habe mich zeitgleich zur Bachelorarbeit auf die Schwarzgurtprüfung im Karate vorbereitet. Beim Karate kann man die Integration leben. Der Sport verbindet sowieso. Beim Karate trägt jeder einen weißen Anzug, da sind alle gleich und trainieren zusammen“, berichtet sie. Außerdem arbeite sie seit Jahren als Karatetrainerin für Kinder und Jugendliche sowie mit der Kaarster Flüchtlingshilfe zusammen.