Tamar Beraia macht sprachlos

Erstklassige Auftaktveranstaltung des Klavierzyklusses der Bayer-Werke in der Stadthalle.

Foto: Mathias Kehren

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so leise war es im Zuschauerraum des Men-delssohn Saals der Stadthalle. Ganz anders verhielt es sich auf der Bühne. Dort kamen aus dem Konzertflügel mal gewaltige, mal leise Klänge. Die groß angelegte Klaviersonate in h-Moll von Franz Liszt war zu hören, die jeden in ihren Bann zog. Dafür zuständig zeichnete Tamar Beraia, die für eine erstklassige Auftaktveranstaltung des Klavierzyklus der Bayer-Werke dieser Spielzeit sorgte.

Liszt ging bekanntlich bei Carl Czerny in die Lehre, entwickelte seine Technik weiter, schuf seinen eigenen Personalstil. Als Tastenlöwe wurde er herumgereicht, verdiente nicht schlecht dabei. Unter anderem aus diesem Grund wurde früher sein kompositorisches Schaffen abschätzig behandelt. Das hat sich gewaltig geändert. Heute zieht man davor den Hut. So ist auch die Klaviersonate klar durchstrukturiert. Ob man sie in drei oder fünf Abschnitte gliedert, die ineinandergreifen: Das musikalische Geflecht ist komplex. Der Notentext muss also tief durchleuchtet werden. Auch gehört sie mit zu den technisch anspruchsvollsten Werken des 19. Jahrhunderts. Selbst für ganz große Pianisten ist sie eine Herausforderung.

Tamar Beraia interpretierte diese Sonate trotz ihrer erst 30 Lenze mit einem überaus reifen Zugang. Während der 30 Minuten begab sie sich auf eine große Exkursion in das Ich des Komponisten, zeichnete das mannigfaltige Befinden tief ausgelotet nach, ohne ihre eigenen Emotionen außer acht zu lassen. Hier gingen Liszts Intentionen kongenial Hand in Hand mit dem Gemüt der Pianistin, die dabei selbst die vertracktesten virtuosen Passagen spielerisch leicht bewältigte. Extrem spannungsgeladen war die Atmosphäre, als sie einen großen musikalischen Bogen vom anfangs düstern Pochen bis hin zum lyrisch-verklärten Finale zog. Es brauchte einen Moment, bis der Bann nach dem Verklingen des letzten Tons gebrochen war.

Das war ganz große Musik, so wie sie erklingen sollte: hochemotional und elektrisierend. Doch damit nicht genug. Auch die vom Komponisten selbst erstellte dreiteilige Klavierfassung seiner Ballettmusik zu „Petruschka“ von Igor Strawinsky zählt mit zu dem pianistisch anspruchsvollsten Werk, das in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts beschert wurde. Wer nicht die ganz hohe Schule der Klaviertechnik aus dem Effeff beherrscht, sollte tunlichst die Finger davon lassen. Deshalb gab und gibt es nur wenige Pianisten wie Alfred Brendel, Alexis Weissenberg und Maurizio Pollini, die mit diesem Stück öffentlich auftreten.

Beraia gehört nun dazu. Allein wie sie gleich zu Beginn trotz des schnellen Tempos fest zu packend die gewaltigen Akkordkaskaden, Arpeggios und den mit „Glissando“ vorgeschriebenen Lauf mustergültig, lupenrein dem Tasteninstrument entlockte, machte sprachlos. Sämtliche Aufs und Abs, gewaltig laute wie sanfte Passagen, dabei die wichtigen Melodietöne immer in der Vordergrund stellend, fügte sie zu einem packend-ausgelassenen Jahrmarktgetümmel mit dem Gaukler und seinen drei Puppen an vorderster Front.

Dazwischen gab es noch Peter Tschaikowskys „Nussknacker-Suite“, arrangiert für Klavier aus der Feder des weltberühmten russischen Pianisten, Komponisten und Dirigenten Michail Pletnev. Auch hier demonstrierte sie ihre hochmusikalische wie außerordentlich virtuose Meisterschaft par excellence. Das teils fachkundige Publikum feierte Beraia mit heftigem Beifall, gespickt mit etlichen Bravo-Rufen. Dafür bedankte sie sich mit einer traumhaft schön vorgetragenen lyrischen Stück als Zugabe.