Buch über Friedrich Engels Tilman Röhrig hilft, Friedrich Engels zu verstehen
Der Kölner Autor beschreibt in seinem neuen Historienroman eine Männerfreundschaft, welche die Welt verändert hat. Geschichte zum Genießen.
Die Statue am Opernhaus in Wuppertal ist nicht Friedrich Engels. Sie ist, was ein chinesischer Künstler im Schulunterricht über Friedrich Engels gelernt hat. Sie ist das Abbild eines liebenden, liebenswerten Großvaters, eines guten Menschen, der allen Menschen nur Gutes tun will. Und auch das Werk des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka im Engelsgarten ist nicht Friedrich Engels. Es zeigt „Die starke Linke“ im Freiheitskampf in einer Marmor gewordenen Interpretation dessen, was Engels gedacht und gewollt haben mag.
Wer ist Friedrich Engels? Vielmehr wie war Friedrich Engels? Historiker haben den Barmer Unternehmersohn erforscht, der sich im 19. Jahrhundert anschickte, die Welt zu verändern. Karl Marx und Friedrich Engels stehen synonym für Kommunismus, Klassenkampf und Arbeiterbewegung.
Das tun sie auch im neuen Roman von Tilman Röhrig. „Und morgen eine neue Welt“, hat der Kölner sein Buch genannt. Es erscheint rechtzeitig zum 200. Geburtstag des weltberühmten Barmers, den Wuppertal im nächsten Jahr groß feiern will, und beschreibt ein paar Jahre in der Sturm- und Drangphase von Engels.
Röhrig haucht dem Philosophen und Marx-Mäzen mit jedem Satz seines Werkes Leben ein. Bei all dem ist der Autor um historische Korrektheit bemüht. Vom ersten Satz an macht er deutlich, dass er die Geschichte weder umschreiben noch auch nur umdeuten will. Dass Karl Marx schon auf den ersten Seiten des Buches die Kernaussagen treffen darf, mit denen ihn wohl jeder identifizieren könnte, untermauert Röhrigs Anspruch, bei der verbrieften Wahrheit zu bleiben. Also muss Marx weinselig von sich geben, dass er Religion für giftig hält, oder auch, dass er kein Kommunist sei, sondern lediglich über Kommunismus nachdenke.
Im Kern hat Tilman Röhrig einen Familien- und Freundschaftsroman geschrieben. Es geht um Liebe und Wertschätzung, es geht um Wohlstand und Armut. Es geht um Loyalität und Visionen. All die Episoden des Alltagslebens eines Revolutionärs verlegt Röhrig historisch genau an die Orte, in denen Engels gelebt hat.
Und immer dreht es sich nicht nur um Politik. Da ist das Hausmädchen, das nach Brüssel entsandt wird, um das Zusammenleben der Eheleute Marx zu stabilisieren. Da ist der ewig klamme Vordenker aus Trier, dem Friedrich bei vielen Gelegenheiten finanziell unter die Arme greifen muss. Und da ist die leidenschaftliche, fragile und letztlich tragisch geendete Liaison von Engels selbst mit der irischen Nationalistin Mary Burns.
Glaubhafte Bilder
des Protagonisten
All das beschreibt der 1945 geborene Autor leicht, schwungvoll und kurzweilig, ohne zu voyeuristisch zu werden. Wenngleich Röhring zu keinem Zeitpunkt einen Hehl daraus macht, dass Friedrich Engels dem Leben sehr zugetan gewesen sein muss. Wein, Weib und Revolution, zumindest Gespräche über Revolution, bestimmen die 20er Lebensjahre des Sohnes aus reichem Hause.
Und doch versteht es der Autor, Engels auch in den Momenten von Zorn oder Verzweiflung am Schicksal der Arbeiter in den Textilfabriken von Manchester so zu beschreiben, dass das Bild eines Menschen entsteht, der aus seinem tiefsten Inneren meinte, was er sagte und schrieb.
Auf diese Weise zeichnet Tilman Röhrig glaubhafte Skizzen seiner Protagonisten. Er holt die Helden der Arbeiterbewegung Europas und der Welt vom Sockel, ohne sie zu beschädigen. So, wie er Engels und Marx durch seinen Roman wiedergibt, so könnten sie gewesen sein. Das Handeln und Reden, das der Autor ihnen auf die Leiber schreibt, passt zu den Geschehnissen, die in vielen unstrittigen Quellen belegt sind.
Einmal mehr erweist sich Röhrig dabei als Meister des historischen Romans. Sein Buch über einen den großen Sohn Barmens fügt sich nahtlos ein in die Reihe seiner Werke über den Bildhauer und Freiheitskämpfer Tilman Riemenschneider und Martin Luther. Lesbare, lesenswerte, lebendige Geschichte. Wer eine Vorstellung davon haben will, wie Friedrich Engels gewesen sein könnte, ist mit „Und morgen eine neue Welt“ gut versorgt.
»Das Buch ist Anfang September im Verlag Piper erschienen, Preis 20 Euro