Herr Sturm, Herr Eisenschneider, Was haben Sie besonders an Matthias Burkerts Arbeit geschätzt?
Tanztheater Pina Bausch: „Das Geheimnis ist die Musik“
Wuppertal · Robert Sturm und Andreas Eisenschneider über Matthias Burkert: „Das Geheimnis ist die Musik“.
Er war Musiker, hatte Klavier, Trompete und Gesang studiert. Und er war Korrepetitor. Vor allem schuf er die Musik für Pina Bauschs Stücke. War fast von Anfang an dabei. Eine Instanz, die zuletzt auch wegen ihres in vielen Jahren erworbenen Wissens von unschätzbarem Wert für das Tanztheater Wuppertal war. Im Oktober ist der gebürtige Duisburger Matthias Burkert, der zum Studium nach Wuppertal kam und blieb, im Alter von 69 Jahren gestorben. Zwei langjährige Weggefährten erinnern an ihn: Robert Sturm, künstlerischer Betriebsdirektor, der künstlerischer Assistent von Pina Bausch war, sowie Andreas Eisenschneider, der viele Jahre zusammen mit Burkert die musikalische Leitung des Tanztheaters inne hatte.
Andreas Eisenschneider: Einen Zugang zu ethnologischer und mittelalterlicher Musik habe ich überhaupt erst durch ihn bekommen. Auf den Researchreisen durch Brasilien, Japan oder Hongkong hat er immer nach ethnologischer Musik geschaut. Und wie er dann ausgewählt hat, gerade bei den alten Stücken, war sehr stimmig. Durch sein musikwissenschaftliches Wissen hatte er natürlich auch einen anderen Zugriff. Durch mich hat er den Zugang zu elektronischer Musik bekommen, wir haben uns ergänzt und gegenseitig befruchtet. Er war ein sehr guter Kollege.
Robert Sturm: Ich habe ihn während der Research-Reise für „Wiesenland“ nach Budapest 1999 und auch häufig bei seinen Suchen begleitet. Es war faszinierend, wie völlig offen und in alle Richtungen er vorging, und dann, wenn er etwas sah, wusste, dass es passte. Er hatte eine unendliche Offenheit und Vielfalt, keine Beliebigkeit. Er war eher misstrauisch, wenn etwas zu schnell klappte.
Welche Situationen erinnern Sie, wenn Sie an ihn denken?
Andreas Eisenschneider: Als ich vor zwei Wochen die Aufführung von „Vollmond“ in Helsinki betreut habe, war mir Matthias wieder ganz nah. Die ganzen Erinnerungen und damit verbundenen Emotionen von früher waren wieder da, ich war sehr berührt, fühlte mich wohl und voller Respekt.
Eine Eigenschaft?
Robert Sturm: Seine Selbstironie.
Welche Bedeutung hat Matthias Burkert für die Stücke von Pina Bausch?
Robert Sturm: Die Musik stand dem Tanz in nichts nach. Für Pina war ein Stück eine Kombination aus allem, auch Bühnenbild, Kostümen und eben Musik. Sie hat der Musik ganz viel Zeit gewidmet. Manchmal hat sie sogar Szenen wieder rausgenommen, weil keine Musik gefunden wurde.
Andreas Eisenschneider: Ohne Musik geht es nicht. Als ich bei dem Stück „Nur du“ für den erkrankten Burkert eingesprungen bin, hat Pina selbst gesagt: „Das Geheimnis ist die Musik“.
Wie war das Verhältnis von Pina Bausch und Matthias Burkert?
Robert Sturm: Es war ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Eigentlich hat er den kompletten Tanztheater-Prozess begleitet. Sie haben sich sehr gut verstanden, auch ohne viele Erklärungen. Und Matthias hat auch über die Musik hinaus viel gemacht: Bei den Trainings gespielt, bei den Beleuchtungskorrekturen mitgewirkt. Er entwickelte sich zu einem Experten für die Produktionen. Eine Trennung von Tanztheater und Privatleben gab es für ihn nicht.
Andreas Eisenschneider: Bei ihrer Arbeit sind sie sich sehr nah gekommen, sind zwangsläufig zusammengerückt.
„Bandoneon“ (1980) war seine erste Zusammenarbeit mit Pina Bausch.
Robert Sturm: Er stellte damals die Musik aus südamerikanischen Liedern zusammen, die Pina mitgebracht hatte. Für mich ist es eines der wichtigsten Stücke, ich schätze es sehr. Die Musik hat eine besondere Tiefe und Feinheit, ist sehr emotional.
Andreas Eisenschneider: Es ist sein Meisterwerk, alles ist richtig. Auch wenn er sich morgens eingespielt hat als Vorbereitung für die Trainings, war das sehr immer fein und stimmig, und ich habe das sehr gemocht.
Einige Male hat Matthias Burkert auch auf der Bühne mitgewirkt.
Robert Sturm: Das war nicht so ganz sein Ding. Aber wenn Pina es wollte, hat er eben Maultrommel, Klavier, Harmonium oder Drehleier auf der Bühne gespielt.
Andreas Eisenschneider: Er fand es eigentlich toll, aber wenn er dann in der Situation war, war sie ihm nicht so geheuer.
Ein immer wichtiger werdendes Thema ist die Weitergabe von Pina Bauschs Werk an jüngere Generationen.
Robert Sturm: Da wird Matthias sehr fehlen. Er ist unersetzbar, wir müssen uns neu aufstellen. Umso froher sind wir, dass Andreas da ist.
Andreas Eisenschneider: Er hatte schon ein unglaubliches Wissen in über 40 Jahren aufgebaut.
Robert Sturm: Zum Glück konnte manches bewahrt werden, aber wir sind nicht richtig durchgekommen. Der Anfang mit „Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört“ wurde gemacht. Es wäre schon schön, wenn seine Kommentare zu allen Stücken vorhanden wären.
Andreas Eisenschneider: Er hat nahezu alle Vorstellungen gesehen, war eine Schnittstelle zwischen Ton, Technik und auch mir.
War es ein Nachteil, dass mit Konserven- und nicht Livemusik gearbeitet wurde?
Andreas Eisenschneider: Nein, mit Liveinterpretationen erreichen Sie nicht das, was wir wollten. Wenn bei einem Stück für „Vollmond“ der Anfang nicht passte, wurde er abgeschnitten und konnte später für eine andere Szene genutzt werden. Der Computer heute macht die Arbeit noch einfacher, ist aber auch eine große Verführung.
Robert Sturm: Live erreicht man weniger Vielfalt. Man findet kein Musikensemble, das so viele verschiedenartige Lieder hintereinander spielen kann.
Die einzelnen Lieder wurden in den Aufführungen manuell gestartet?
Andreas Eisenschneider: Ja, die Kunst bestand darin, dass der Zuschauer die Übergänge nicht merkt, denkt, dass es eine Musik ist. Wie aus einem Guss.