Meinung Überall Baustellen: Das geht auch anders
An jeder Ecke eine Kanalbaustelle, an jeder zweiten Straßenbau. Schnell geht es nie vonstatten, weil in Deutschland die Regel zu gelten scheint: Einer steht im Loch, fünf schauen hinein.
Wenn in dieser Situation der Vorsitzende des Immobilieneigner-Vereins Haus und Grund, Hermann-Josef Richter, feststellt, dass in Wuppertal viel zu wenige Wohnungen und Häuser errichtet werden, dann klingt das wie eine Drohung. Was? Noch mehr Baustellen? Aber gemach, keine Angst, so weit wird es nicht kommen, nicht in Wuppertal.
Dabei hat Richter recht. Es fehlt an gut ausgestatteten, bezahlbaren Wohnungen für Interessenten aller Einkommensklassen. Es mangelt an einem Mietniveau, dass die Interessen von Eigentümern und Mietern vernünftig ausgleicht. Es fehlt an Flächen für Einfamilienhäuser, was dazu führt, dass viele Tausend, die Geld und Lust haben, Wuppertal bestimmt schweren Herzens verlassen, um in Ennepetal oder in Sprockhövel den Traum von den eigenen vier Wänden wahr werden zu lassen. So verliert Wuppertal zahlungskräftiges Bürgertum. Das ist nicht nur schade, sondern auch schädlich.
Es wäre ein Leichtes, das zu verhindern, auch ohne die städtische Wohnungsbaugesellschaft, die sich zwar redlich müht, aber nicht einmal mehr in der Lage ist, ihre kaum noch 5000 Wohnungen marktfähig in Schuss zu halten.
Aber alle Versuche scheitern entweder am Stillstand in der Stadtverwaltung oder daran, dass die eine Partei der anderen im Stadtrat das Schwarze unter dem Nagel nicht gönnt. Im Dezember vergangenen Jahres hat die Große Kooperation aus SPD und CDU im Stadtrat in einem selten gewordenen Anfall von Lebhaftigkeit die Verwaltung beauftragt, kurzfristig 110 Hektar Land für Wohnbebauung in verschiedener Form zu identifizieren. Die Groko wartet heute noch. In diesem Prozess ist sie wieder in den Tiefschlaf verfallen, sie fragt nämlich noch nicht einmal mehr nach, ob in der Verwaltung nicht doch noch irgendwer in der beantragten Frage in Wallung kommen möchte.
Statt dessen bügelt sie den mindestens diskutablen Vorschlag der Grünen ab, es doch erst einmal mit der Aktivierung von Brachflächen oder dem Schließen von Baulücken zu versuchen, bevor auf Wiesen am Stadtrand die Bagger anrollen. Die Idee hätte auch von der FDP stammen können und dasselbe Schicksal erlitten: falsche Partei gleich schlechte Idee.
Angesichts dessen, was in Wuppertal in der Regel gebaut wird, wenn gebaut wird, hat das Stillhalteabkommen zwischen Rat und Verwaltung optisch sogar Vorteile. Im Sinne der Stadtentwicklung ist es allerdings nicht. Denn während in Wuppertal allenfalls der Döppersberg noch als zeitgemäßes Projekt herhalten kann, und das auch nur mit deutlichen Abstrichen, fahren überall Züge Richtung Zukunft, nur Wuppertal fährt nicht mit.
Das war schon einmal anders. Und nichts spricht dagegen, dass es wieder anders werden könnte — abgesehen vielleicht von Ratspolitikern, denen in all den Jahren scheinbar unbegrenzter Macht Lust, Leidenschaft, Neugier und Mut, abhandengekommen sind, abgesehen von Stadtverwaltern, denen der nun schon Jahrzehnte währende Sparbetrieb auch den letzten Zahn gezogen hat, und abgesehen von einem Oberbürgermeister, der seinen Vorgänger in der Zahl der Wink-Termine mittlerweile überrundet hat und gleichzeitig in jedem Süppchen zu rühren scheint, ohne auch nur ein einziges zu Ende kochen zu können.
Das geht auch anders. Die Frage ist nur, wer es endlich anders macht.