Diskussion mit Uni Wuppertal Ukraine: „Putin kann den Krieg politisch nicht mehr gewinnen“

Wuppertal · Die Bergische Universität Wuppertal hat eine Diskussion mitorganisiert. Auch Wissenschaftler aus der Ukraine waren per Video-Konferenz zugeschaltet.

Wladimir Putin. Foto: Andrei Gorshkov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Foto: dpa/Andrei Gorshkov

Seit zehn Tagen herrscht Krieg in der Ukraine. Angesichts der täglichen Bilder von Tod und Zerstörung hoffen viele Menschen auf ein Ende der Kämpfe und eine politische Lösung – und sie fragen, wie es so weit hat kommen können, dass die Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges allen Ernstes wieder diskutiert werden kann.

Das Thema betrifft (im doppelten Sinne) auch die Wissenschaft, kann sie doch mit ihrer Expertise Wege aus der Katastrophe aufzeigen. Zu einer virtuellen Diskussionsrunde zum Krieg in der Ukraine lud deshalb am Donnerstagabend eine Runde von Historikern, die von der Bergischen Uni mitorganisiert wurde. Dazu wurden auch eine Professorin und ein Autor aus der Ukraine per Video-Konferenz geschaltet.

Die bewegendsten Statements lieferten dabei die Augenzeugenberichte der Geschichtsprofessorin Polina Barvinska (Universität Odessa) und des Autors Jurko Prochasko. Barvinska ist erst vor kurzem aus Odessa ins westukrainische und bislang weniger umkämpfte Lwiw (Lemberg) geflüchtet. „Noch“ wenig umkämpft sollte man vielleicht sagen: Prochasko lebt in Lemberg und hat wenig Hoffnung, dass die Stadt noch lange von russischen Angriffen verschont bleibt. „Putin nimmt sich genau so viel, wie ihm gefällt“, sagte der Autor, in der Nacht zum Freitag werde mit einem Raketenangriff auf die Stadt gerechnet. Der Krieg gegen die Ukraine wäre aus Sicht der beiden nur zu verhindern gewesen, wenn das Land rechtzeitig Mitglied der Nato geworden wäre. „So jemand wie Putin versteht nur Stärke“, bekräftigte Barvinska.

Welchem Geschichtsbild hängt Putin nach?

Die sechs an der Diskussion beteiligten Historikerinnen und Historiker machten sich nach den Ausführungen der beiden unmittelbar Betroffenen auf die Spurensuche, fragten etwa, wie es zu der Eskalation kommen konnte und welchem Geschichtsbild der russische Präsident Wladimir Putin an- und nachhängt. Denn Putin führt seit mehr als 20 Jahren – ob als Präsident oder als zwischenzeitlicher Ministerpräsident – nicht nur das flächenmäßig größte Land der Erde, er befasst sich seit einiger Zeit auch „obsessiv mit Geschichte“, wie Anke Hilbrenner (Uni Göttingen) erklärte. Putin sei der Ansicht, dass Länder wie Belarus und die Ukraine keine eigenständigen Staaten seien und sich dem „russischen Narrativ“ unterordnen müssten.

In dieser Einschätzung gebe es auch keine Trennung zwischen Politik und Wissenschaft mehr, betonte Hilbrenner. Die Geschichte wird zurechtgebogen, um das politische Machtstreben zu legitimieren. Kollegin Ricarda Vulpius (Uni Münster) sprach in diesem Zusammenhang von einem „imperialen Nationalismus“, den Putin verfolge. Die Idee stamme aus der „zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ und sei in der Zeit des „späten Zarenreiches“ entstanden.

Ein düsteres Bild über das, was dem ukrainischen Volk in den kommenden Tagen und Wochen bevorstehen könnte, gab Tatjana Tönsmeyer von der Bergischen Uni zu verstehen.

Der Krieg gegen die Zivilbevölkerung sei für die russische Armee eher schon die Regel als die Ausnahme. Das hätten die Militäreinsätze etwa in Tschetschenien, Georgien, auf der Krim und in Syrien bewiesen. Und auch nach dem Ende der Kämpfe werde es im Land nicht besser. „Mit dem Ende der Kampfhandlungen hört das Leiden der Bevölkerung nicht auf“, mahnte die Professorin. Derzeit sei allerdings zu befürchten, dass die Kämpfe in der Ukraine „noch einige Zeit anhalten“ werden.     

Einen zumindest etwas optimistischeren Blick wagte Frank Grüner (Uni Bielefeld). „Putin kann diesen Krieg politisch nicht mehr gewinnen“, konstatierte er. Schon ein militärischer Sieg sei nicht mehr sicher. Der russische Präsident habe den Widerstandswillen der Ukrainer und die geschlossene Reaktion des Westens völlig unterschätzt. Grüner setzt seine Hoffnung nun auch auf die russische Zivilgesellschaft, in der angesichts eines immer länger währenden Waffengangs die Proteste zunehmen würden. Trotz des repressiven Systems in Russland gebe es immer mehr kritische Stimmen etwa aus Wissenschaft, Wirtschaft und selbst der russisch-orthodoxen Kirche. „Der russische Krieg ist Putins Krieg. Er widerspricht fundamental den Interessen der russischen Zivilgesellschaft“, betonte Grüner.