Begrabt mein Herz in Wuppertal Kindheitserinnerungen an den WSV

Kolumnist Uwe Becker begleitete schon als kleiner Junge seinen Vater zu den Spielen.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Was ist denn da wieder bei unserem Wuppertaler Sportverein los? Ich habe noch vor wenigen Wochen zusammen mit einem Freund 100 Euro gespendet, um eine erneute Insolvenz zu verhindern. Anscheinend reichte unsere großzügige Spende aber nicht aus. Daher musste wieder Friedhelm Runge, der damals vom Hof gejagte Ex-WSV-Präsident, mit ein bisschen Geld aushelfen. Mein Gott, wie peinlich! Ob ich noch einmal zum WSV ins Stadion gehe, werde ich mir jetzt sorgsam überlegen.

Ich erinnere mich gerade, mit einer Träne im Auge, wie ich als kleiner Junge zusammen mit meinem Bruder sonntags zu Fuß von Barmen bis zum Stadion am Zoo gegangen bin, um mir vom gesparten Fahrgeld in der Halbzeit eine Bratwurst oder ein Rolli-Eis am Stil leisten zu können. Der WSV spielte damals in der Oberliga West, die nach der Saison 1962/63 abgeschafft wurde. Ich war acht Jahre alt, als der Wuppertaler SV in die 1963 neu gegründete Regionalliga West abstieg und die Fußball-Bundesliga in ihre erste Saison ging. Damals begeisterten mich spektakuläre Oberligaspiele gegen den 1.FC Köln oder Borussia Dortmund, Westfalia Herne oder den TSV Marl-Hüls.

Mein Vater nahm mich oft mit zu den Auswärtsspielen des WSV. Ich durfte im Auto, einem knallroten VW-Käfer, sogar vorne sitzen, aber nur, wenn mein Bruder nicht dabei war, er war drei Jahre älter und behauptete stetig, es wäre im Grundgesetz fest verankert, dass sich der ältere Bruder vorne neben dem Vater auf dem Beifahrersitz platzieren muss. Ich glaubte ihm das sogar, und ja, ich war richtig stolz, dass mein Bruder das Grundgesetzbuch so gut kannte.

Für mich waren die 1960-Jahre in der Oberliga und Regionalliga West die schönste Zeit, die ich mit dem WSV erleben durfte. Mein Lieblingsspieler war der Mittelstürmer, Günter „Fifa“ Augustat, der mir sehr gefiel, weil er eigensinnig war und gerne seine Gegenspieler veräppelte. Günter Augustat schoss einmal sechs Tore in einem Spiel. Ich habe das Match gegen Schwarz-Weiß Essen gesehen, und konnte am Abend vor Freude nicht einschlafen.

Der Aufstieg in die Fußball-Bundesliga war für den Verein natürlich der größte Erfolg, allerdings war ich da schon 18 Jahre alt, und andere Dinge, wie Lesen, Tanzen, Trinken, Rauchen und Mädchen wurden neben dem Fußball auch wichtig. Die intensivsten Erlebnisse mit dem WSV hatte ich als Kind. Wenn ich nach dem Schlusspfiff im Zoo-Stadion auf die Gäste-Spieler wartete, um mir Autogramme zu holen, war das sehr aufregend.

Die Unterschriften der WSV-Spieler hatte ich ja irgendwann alle doppelt und dreifach. Ich notierte mir auf einer Seite meines Autogrammbuches den Namen des Vereins, beispielsweise „TSV Marl-Hüls“, damit ich in ein paar Wochen noch genau wusste, welchem Verein die Spieler angehörten, die mir ihr Autogramm gegeben hatten. Wie die Spieler hießen, wusste man nur in Ausnahmefällen, da die Unterschriften auch nicht gut lesbar waren.

In der zweithöchsten Klasse spielten aber auch bekannte Fußballer, wie der junge Günter Netzer, Bernd Rupp und Herbert Laumen von Borussia Mönchengladbach. Die meisten Kicker aber waren nicht so berühmt. Aber fast alle Fußballer dufteten so lecker, wenn sie frisch geduscht, die Haare nach hinten gekämmt, aus der Kabine kamen und vor einem standen. Ein Spieler vom TSV Marl-Hüls, den ich um ein Autogramm bat, wollte mir sogar sein Butterbrot schenken, das ihm seine Mutter anscheinend für die Halbzeit geschmiert hatte. Ihm war aber wohl der Appetit vergangen, weil der WSV nach 45 Minuten bereits 3 zu 0 führte (Endergebnis 4 zu 0). So etwas würde man heute nicht mehr erleben. Auf dem Butterbrot war allerdings Schmierwurst, die ich als Kind über alles hasste, darum lehnte ich die Annahme der Stulle höflich ab. In meinem Autogrammbuch war dann neben der Unterschrift des Spielers auch ein kleiner Fettfleck, weil ein wenig von dieser furchtbaren Streichwurst an seinem Finger hing.

Vor einigen Monaten besuchte ich nach langer Zeit ein Spiel des WSV. Auf der Tribüne stand ich kurz neben dem Maskottchen „Pröppi“, das sich mit einigen Kindern fotografieren ließ. Ich weiß nicht, wie oft dieses Löwenkostüm schon mal gewaschen wurde, aber es stank äußerst unangenehm, fast so schlimm wie die fettreiche Schmierwurst aus Marl-Hüls.