Begrabt mein Herz in Wuppertal Schnitzel und ein paar gute Geschichten

Uwe Becker erhielt eine Einladung zum Klassentreffen.

Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien.

Foto: Joachim Schmitz

Heute lag eine Einladung zu einem Klassentreffen in meinem Briefkasten. Unser letzter Schultag jährt sich in diesem Jahr wohl zum 50. Mal. Die Teilnahme am Klassentreffen wurde mir auch mit einem netten Zusatz auf der Einladung schmackhaft gemacht: „Das Treffen bringt eventuell auch etwas für Deine Kolumne.“ Das gemütliche Beisammensein ist zwar erst nach den Sommerferien, aber ich mache mir jetzt schon meine Gedanken, wie alles vonstatten gehen könnte. Zunächst fiel mir leider ins Auge, dass die Terminierung unglücklicher Weise auf einen Freitag den 13. gefallen ist. Als hochgradig abergläubischer Mensch stellt alleine dieser Fakt eine Teilnahme meinerseits in Frage.

Dass sich direkt gegenüber des Speiselokals, in dem die Zusammenkunft stattfinden soll, ein Krankenhaus befindet, beruhigt mich keinesfalls, ganz im Gegenteil. Da ich mich aus beruflichen Gründen sehr für die ortsansässige Gastronomie interessiere, wollte ich meine Entscheidung aber nicht direkt übers Knie brechen, und entschloss mich, zunächst die Speisekarte des Gasthofs zu studieren, damit ich weiß, was ich in sieben Monaten zum Abendbrot aufgetischt bekomme.

Ich machte mich einige Tage später auf, um dem Lokal einen Besuch abzustatten. Da die gutbürgerliche Gaststätte noch nicht geöffnet hatte, ich aber den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, ging ich vor lauter Magenknurren in die Kantine des gegenüber ansässigen Krankenhauses. Dort bestellte ich ein Schnitzel mit Pommes und einen kleinen gemischten Salat. Die Portion war recht groß und saumäßig lecker. Meine Begeisterung über das Kantinenessen der Klinik ließ mich vergessen, dass meine Fahrt nach Barmen eigentlich ein anderes Ziel hatte. Nachdem ich dann noch eine leckere Tasse Kaffee und ein Stückchen Kuchen mit Schlagsahne zum Dessert genossen hatte, verließ ich ausreichend gesättigt und gut gelaunt das Krankenhausgelände.

Auf der Heimfahrt im Taxi fiel mir eine tragische Geschichte ein, die von einem französischen Schriftsteller stammen könnte: Jean-Pierre Durand, Zahnarzt, Mitte Dreißig, bekam, genau wie ich, eine Einladung zu einem Klassentreffen. Da er für diesen Abend aber schon Karten für ein Fußballspiel hatte, und ihm die Anreise von Bordeaux nach Paris ohnehin zu beschwerlich war, bat er seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Philippe, ihn an diesem Abend zu vertreten. Philippe sah Jean-Pierre auch sehr ähnlich, wohnte in der Nähe von Paris, und hatte große Lust, diesen Streich mitzuspielen. Philippe erhielt vorab von seinem Bruder einige Infos über die Klassenkameraden, damit der Schwindel nicht auffällt.

Leider wusste Jean-Pierre nicht, dass seine damals 16-Jährige Freundin Madeleine, die er vor vielen Jahren ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte, um in Südfrankreich zu studieren, infolge der Trennung eine schwere Depression bekam, von der sie sich nie ganz erholte. Als Madeleine auf dem Klassentreffen glaubte, ihre große Liebe wiederzusehen, drehte sie komplett durch, holte aus der Restaurant-Küche ein großes Messer und erstach Philippe.

Aber wir sind ja hier glücklicherweise in Wuppertal und nicht in Paris, der Stadt der Liebe. Ich glaube auch nicht, dass unser Klassentreffen mit einem Mord oder einem Amoklauf endet, für den ich verantwortlich gemacht werden könnte. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es bei uns auf der Gemeinschaftsschule Gewerbeschulstraße keine dramatische Liebesgeschichte, an der ich beteiligt war, und die über den späteren Besuch einer berufsbegleitenden Fachschule hinausging oder gar auf der Couch eines Psychiaters behandelt werden musste.

Natürlich kamen wir Kinder in Barmen auch irgendwann in die Pubertät, und das Interesse für das andere Geschlecht nahm fast täglich zu. Ich erinnere mich gerne an das erste große Herzklopfen, wenn die hübsche Nachbarstochter einen Hula-Hoop-Reifen mit vollem Einsatz ihre Hüften kreisen ließ. Wenn ich es mir recht überlege, ist meine Chance doch ziemlich groß, dass ich bei diesem Klassentreffen guten Stoff für eine neue Kolumne sammeln könnte - egal, ob  wir uns in der Krankenhauskantine oder im Landhaus gegenüber treffen. Schnitzel mit Pommes gibt es hüben wie drüben.