Begrabt mein Herz in Wuppertal Ein trauriger Tourist

Die Schwebebahn steht, das Engelshaus ist geschlossen - doch Uwe Becker hat Ideen für Alternativen.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Der Ausfall unserer Schwebebahn ist nicht nur für viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt ein großes Ärgernis. Ich sah einen Mann von kleiner Statur, er stand an der Barmer Straße, in der Nähe des Schauspielhauses, und richtete seinen Blick auf das Gerüst der Schwebebahn, die er jetzt so gerne mit seiner erst kürzlich in Peking erworbenen Kamera fotografieren würde. Anjing Wáng ist 60 Jahre alt und Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas. Die Reise in die Geburtsstadt von Friedrich Engels hat er sich über eine lange Zeit zusammengespart. Wáng wollte die weite Reise nach Deutschland mit seiner Frau unternehmen, es sollte ihre verspätete Hochzeitsreise werden, doch leider verstarb sie vor einem halben Jahr. Nun steht er in Wuppertal, bei leichtem Nieselregen, die Stützpfeiler der Hängebahn im Sucher seiner Kamera, und wartet auf die hellblauen Bahnen, die er von den Bildern in den Reiseprospekten kannte. Leider wird er vergebens auf die Schwebebahn warten.

Der freundliche Herr Wáng weiß nicht, warum die Bahn nicht fährt, und er spricht auch nicht unsere Sprache, um herauszufinden, was geschehen ist. Am Abend sitzt er traurig auf dem Bett in seinem Hotelzimmer und notiert in sein Tagebuch: „Die Schwebebahn habe ich noch nicht sehen können. Die Stationen sind verschlossen, was ist los? Ich begebe mich später in das chinesische Restaurant an der Ecke, vielleicht wissen die dort mehr.“ Wáng hat die Nummer 77 bestellt, Ente leicht scharf mit acht Kostbarkeiten. Aber geschmeckt hat es ihm nicht sonderlich. In der Heimat, bei seinem Chinesen an der Ecke, da schmeckt es viel besser. Aber das ist eigentlich nur nebensächlich. Er ist traurig, weil er nun weiß, dass er in den zwei Wochen, in denen er noch hier in Wuppertal ist, nicht mit der Hängebahn fahren kann. Wáng denkt an seine Frau, und wie sie ihn jetzt trösten würde.

Am nächsten Tag fährt er mit dem Schwebebahn-Ersatzverkehr zum Engelsgarten. Die Statue von Friedrich Engels ist ein Geschenk seines Heimatlandes an uns Wuppertaler. Unsere Stadt hat neben Trier eine große Bedeutung für viele Chinesen: „In Wuppertal wurde der Kommunismus erfunden!“ sagte Herr Wáng einem Arbeitskollegen, kurz bevor er die große Reise antrat. Nun steht der kleine, traurige Mann aus Peking vor dem geschlossen Historischen Museum. Wáng kann es nicht glauben, die Schwebebahn fährt nicht und das Engels-Haus ist wegen Umbaus geschlossen. Der rote „Friedrich Engels-Container“, der vorne an der Allee steht, bietet ihm keinen Trost. Am Abend schreibt er wieder in sein Tagebuch: „Wie hätte ich ahnen  können, dass die Schwebebahn nicht fährt? Das sicherste Verkehrsmittel der Welt war doch gerade erst komplett erneuert worden. Warum hat mir der Reiseveranstalter nicht gesagt, dass das Engels-Haus geschlossen ist?“

Später sitzt Herr Wáng nachdenklich an der Hotelbar, trinkt ein bisschen viel, beschließt aber, am nächsten Tag in den schönen Zoologischen Garten zu fahren, damit er auf andere Gedanken kommt. Vorher stellt er seine Schuhe vor die Hoteltüre, damit sie morgen frisch gewienert sind. Ich würde mir wünschen, der Nikolaus käme heute Nacht an seinem Zimmer vorbei, und am anderen Morgen fände der sympathische Mann aus China nicht nur frisch geputzte Schuhe vor, sondern darin auch noch ein hellblaues Modell unserer Schwebebahn, eine Eintrittskarte für ein Stück von Pina Bausch, eine DVD über unsere Wupper, und eine Einladung unserer Stadt zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels am 28. November 2020. Ob die Schwebebahn dann allerdings wieder fährt, das kann leider keiner garantieren.