Video-Oper — wie geht das denn?

Opernintendant Berthold Schneider zu „Three Tales“: Die Musik hat Beat und Swing, die Technik erfordert hohen Aufwand.

Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Opernintendant Berthold Schneider hat nicht nur das große Ganze, sondern auch Details im Blick. Er fand es schade, dass im Zuschauerraum die Zugstangen der Scheinwerfer vor den goldenen Säulen hingen. Also hat sich das Werkstatt-Team eine andere Halterung überlegt, die Säulen stehen wieder frei. „Das wird man nicht sofort bemerken“, sagt Schneider, „aber man wird den Raum anders erleben.“

Berthold Schneider

Bei seinem Einstand am kommenden Samstag, 17. September, wird man Oper anders erleben als jemals zuvor in Wuppertal. Mit kühnem Schwung setzt Schneider an den Anfang seiner Intendanz Steve Reichs Video-Oper „Three Tales“, die noch nie an einem Stadttheater gespielt wurde, sondern nur auf Festivals lief. Darin geht es um drei Ereignisse, die Wendepunkte in der technischen Entwicklung markieren: Den Absturz des Zeppelins „Hindenburg“ 1937 in Lakehurst, die Atom-Tests auf dem Bikini-Atoll in den 40er und 50er Jahren sowie das 1996 geklonte Schaf Dolly.

Herr Schneider, warum ist Wuppertal 15 Jahre nach der Uraufführung das erste Stadttheater, dass diese Video-Oper zeigt?

Berthold Schneider: Weil die Three Tales so aufwendig sind, dass sich bisher nur Festivals leisten konnten, sie für eine Aufführung mit großer Sponsorenunterstützung auf die Bühne zu bringen. Wir nehmen sie aber in den laufenden Spielbetrieb.

Woher kommt der Aufwand?

Schneider: Da ist zum einen technisch bedingt. Als das Stück 2001 herauskam, war es fast wie die Mondlandung, weil Technik und Musik so präzise ineinandergreifen müssen. Noch vor zehn Jahren hätte ich mich nicht getraut, das Stück zu machen, weil die Musiker da noch nicht so breit ausgebildet waren und weil die Beamer damals 200 000 Euro gekostet haben. Jetzt haben die Bühnen ohnehin einen leistungsstarken Beamer. Wir mussten aber für 5000 Euro ein Abspielgerät kaufen, das die riesige Datenmenge verarbeiten kann.

Wo liegt die Herausforderung für die Musiker?

Schneider: In der genauen Taktung: Der Pianist darf keine Millisekunde neben der Tonspur des Videos liegen, weil sonst nichts mehr passt. Auch für die fünf Sänger ist es sauschwer. Weil es so ungewöhnlich ist, die Tonspur eines Videos mit einem Orchester zu mischen, haben wir uns den Originaltonmeister der Uraufführung als Berater geholt.

Kommt das Video direkt von Steve Reich beziehungsweise seiner Frau, der Videokünstlerin Beryl Korot?

Schneider: Ja, es ist von ihrem Team gerade komplett überarbeitet worden. Vor einem Jahr haben wir angefragt und sind froh, dass die Festplatte tatsächlich da ist. Wir sind die ersten, die diese Version zeigen.

Steve Reich steht für Minimal Music. Was bekommen die Besucher zu hören?

Schneider: Diese Musik ist rhythmisch vertrackt, arbeitet aber mit normalen Harmonien. Sie hat Beat, sie hat Swing, sie geht ins Blut. Und sie entzieht sich der intellektuellen Analyse: Weil sie viel mit kleinen Variationen arbeitet und sich deshalb vieles ähnlich anhört, kann der Verstand schon nach zwei Minuten nicht mehr einhaken. Diese Musik geht direkt aufs Gefühl. Man kann sie nicht hörend verstehen, sondern nur tief erleben.

Holen Sie deshalb die Zuschauer mit auf die Bühne?

Schneider: Genau. So sind sie noch näher dran. Ich hatte mehrfach Kontakt mit Steve Reich, der sehr genau schaut, wo und wie seine Werke gezeigt werden. Er findet die Idee, dass Zuschauer und Musiker zusammen auf der Bühne sind, richtig gut.

Geht das Interesse an der Inszenierung über die Stadt hinaus?

Schneider: Eindeutig. Wir rechnen damit, dass es in der Region Aufmerksamkeit erzeugt. Für so etwas fährt man sonst zur Ruhrtriennale.

Ist diese Video-Oper als Einstand auch ein Signal an die Wuppertaler?

Schneider: Die Stadt wird uns am besten kennenlernen, wenn wir uns so zeigen, wie wir sind: neugierig und abenteuerlustig. Wir spielen wahnsinnig gern Klassik — was wir einen Tag später mit „Hoffmanns Erzählungen“ beweisen —, aber auch wahnsinnig gern etwas anderes. Wir glauben: Wenn wir etwas aus Überzeugung tun, wird der Funke überspringen.