Wenn die Sucht der Eltern die ganze Familie belastet
Die Dokumentation „Liebe und Hass“ leitete die Projekte für betroffene Kinder ein.
Wuppertal. „Mein Vater hat eigentlich mit meiner Geburt angefangen zu trinken. Ich kannte ihn kaum anders. Wenn er abends spät nach Hause kam, war er meistens dicht und hat nichts mehr mitbekommen“, erzählt Georg (47) aus seiner Kindheit. „Als Kind ist man co-abhängig, und das vergessen viele. Das ganze Leben richtet sich danach aus. Wenn mein Vater zum Beispiel betrunken oben im Bett lag und jemand an der Tür klingelte, um mit ihm zu sprechen, dann habe ich gelogen und gesagt, er sei nicht da. Alles hat sich nach der Sucht gerichtet — auch mein Leben.“
Noch heute, Jahre später, sind ihm die schmerzhaften Erinnerungen anzusehen — vor allem die Erinnerung an das eingekotete und mit Erbrochenem verschmutzte Bettzeug, dass seine Mutter immer gewaschen hat, bevor der Vater wieder von seinem Rausch aufwachte.
Für geschätzte 10 000 Kinder und Jugendliche in Wuppertal ist das Alltag und Realität. In manchen Familien mit suchtkranken Eltern ist es schlimmer, in anderen dauert es Jahre, bis die Kinder wirklich begreifen und verstehen, was zu Hause passiert.
Genau dieses Thema wollte die Kooperation aus der Sucht-selbsthilfe vom Blauen Kreuz, dem Caritasverband Wuppertal/Solingen, der Fachstelle für Suchtvorbeugung und dem Freundes- und Förderkreis Suchtkrankenhilfe mit ihrer Auftaktveranstaltung zur Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien jetzt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Mit der Vorführung der Dokumentation „Hass und Liebe“ des Medienprojektes brachten sie das Thema ins Publikum und in den Alltag.
„Das Betrunkensein nervt“, sagt Theresa (21) mit Nachdruck im Film. Die Alkoholsucht ihrer Mutter hat ihre Jugend schwer belastet und den Heimweg von der Schule an vielen Tagen zu einem schweren Gang werden lassen: Oft musste sie statt Hausaufgaben zu machen den Streit ihrer Eltern schlichten, oder fand ihre Mutter bis zur Besinnungslosigkeit betrunken auf dem Boden vor. Erst ihr Auszug und die Unterstützung durch Beratungsangebote brachte Besserung und half ihr, langsam in ein normales Leben zurück zu finden. Aber selbst als junge Erwachsene kämpft sie mit psychischen Problemen und damit, ein normales Leben und gesunde zwischenmenschliche Beziehungen zu führen — ein Resultat aus der Suchterkrankung ihrer Mutter.
Diese Problematik wurde auch in der offenen Diskussion mit Helfern, betroffenen, heute erwachsenen Kindern und trockenen Alkoholikern deutlich: In vielen Familien wird das Thema zum Teil aus Scham, zum Teil aus Verzweiflung heraus tabuisiert. Mit Lehrern und Freunden kann man oft, wie viele berichten, nicht sprechen — sie wissen mit dem Thema nicht umzugehen.
„Wenn Mama und Papa von klein auf sagen, es ist nicht so, dann traut man irgendwann seinem eigenen Gefühl nicht mehr. Man denkt, vielleicht ist das alles gar nicht so schlimm“, sagt auch Tanja, heute erwachsen und zu der Veranstaltung gekommen, weil mehr für diese Kinder getan werden müsse: Das eigene Selbstbewusstsein leide und erst als Erwachsene, Jahre nachdem sie bereits ihr eigenes Leben lebt, habe sie es geschafft, in einer Selbsthilfegruppe Hilfe und Unterstützung zu suchen.