Wenn Oma ausgenommen wird - Der Enkeltrick hat Konjunktur

Es funktioniert immer wieder: Mit dem Enkeltrick haben Unbekannte eine Wuppertalerin (83) um 22.000 Euro gebracht. Am Montag versuchten Betrüger erneut ihr Glück und erbeuteten in zwei Fällen jeweils mehrere tausend Euro. Warum das Übel so schwer in den Griff zu bekommen ist.

Wuppertal. Es ist Mittag, als am Mittwoch vor zwei Wochen das Telefon klingelt. Eine verzweifelte Stimme am anderen Ende der Leitung zerschneidet die Ruhe in Margrets Wohnung in Elberfeld (Namen von der Redaktion geändert). „Oma, es ist was Schreckliches passiert!“ Margret ist klar: Das muss Jan sein, der Enkelsohn. Wer sonst nennt sie Oma? Er habe einen schrecklichen Verkehrsunfall gehabt, erzählt die Stimme. „Du bist die einzige, die mir helfen kann!“ Margrets Beschützerinstinkt ist geweckt — und ein bisschen geschmeichelt fühlt sich die 83-Jährige auch, dass sie gebraucht wird.

Doch so schnell lässt sie sich nicht überzeugen: Viel Geld will Jan haben, weil sonst sein Führerschein weg sei. Eine halbe Stunde dauert das Telefonat. Als Margret auflegt, macht sie sich gleich auf den Weg zur Bank. „Sie hat ihr Konto platt gemacht“, sagt Margrets Tochter Anne. Ihre Stimme klingt resigniert. „Noch während meine Mutter bei der Bank war, wurde sie erneut angerufen. Ob sie nicht noch mehr Geld besorgen könne?“ Dabei ist die Summe, die Margret von ihrem Konto abhebt, eine für den Enkeltrick ungewöhnlich hohe: 22.000 Euro nimmt sie von einer Angestellten der Stadtsparkasse entgegen, steckt das Geld in eine Tüte und übergibt es wenig später einer fremden Frau im Hausflur.

„Die Angestellte hat noch nachgefragt, als sie hörte, dass das Geld für den Enkel ist“, sagt Anne und schüttelt ratlos den Kopf. „Meine Mutter ist geistig zurechnungsfähig. Trotzdem habe ich jetzt das Konto gesperrt. Das Geld ist weg, und die Polizei hat deutlich gemacht, dass das Verfahren wahrscheinlich eingestellt wird.“

Polizeisprecher Alexander Kresta kennt Margrets Fall. „Das ist schulbuchmäßig abgelaufen — im negativen Sinn“, sagt er. „Den Begriff ,Enkeltrick' gibt es schon lange, und es gibt viele Varianten. Aber das war der Enkeltrick in Reinkultur.“ Senioren seien die typischen Opfer, weil sie oft vertrauensseliger seien als junge Leute. „Wir raufen uns die Haare und denken: Wie kann man denn? Aber die Täter sind dermaßen geschickt und schauspielerisch talentiert — die erlangen das Vertrauen ihrer Opfer auf eine raffinierte Art. Ich finde das sehr verwerflich“, sagt Kresta.

Am Montag haben Betrüger erneut ihr Glück in Wuppertal und Remscheid versucht: Ein vermeintlicher Neffe meldete sich bei einer 75-Jährigen in Barmen und erzählte von einem Autounfall und dem drohenden Verlust des Führerscheins — die Frau übergab mehrere tausend Euro an einen Boten (Osteuropäer, etwa 35 Jahre, 1,65 Meter , kurze dunkle Haare, kariertes Hemd, grauer Pulli, Jeans). Weniger Glück hatten Betrüger bei zwei weiteren Familien in Barmen, die misstrauisch wurden und die Polizei riefen. In Remscheid redete ein Täter eineinhalb Stunden lang am Telefon auf eine 71-Jährige ein und gab sich als ihr Sohn aus. Schließlich übergab auch sie mehrere tausend Euro an einen Unbekannten (etwa 1,70 Meter groß, schwarz gekleidet, schwarze Haare — Hinweise zu beiden Fällen an die Polizei unter Ruf 2840).

„Drei Fälle werden im Schnitt wöchentlich angezeigt, meist bleibt es beim Betrugsversuch. Die Zahlen steigen“, so der Polizist. „Das sind Straftaten, bei denen es oft keinen Ermittlungsansatz gibt. Das sind reisende Täter: heute Wuppertal, morgen Dortmund, übermorgen München.“

Außerdem rufen sie mit unterdrückter Nummer an. Bis 2010 konnte die Polizei diese trotzdem zurückverfolgen, Daten wurden sechs Monate lang gespeichert. Seit die sogenannte Vorratsdatenspeicherung jedoch für verfassungswidrig erklärt wurde, ist diese Datenverbindung für die Polizei oft verloren. „Mobilcom speichert Daten sieben Tage, Eplus etwas länger, die Telekom gar nicht mehr“, weiß Joachim Ludwig, Kriminalhauptkommissar in Köln und Experte in Sachen Enkeltrick. Er beschäftigt sich seit zwölf Jahren mit Verbrechen an Senioren, hat bereits einige Täter dingfest gemacht.

Selbst wenn der Telefonanbieter die Nummer des Anrufers einsehen kann: „Sie fällt unter den Datenschutz. Um sie zu erfahren, braucht die Polizei einen richterlichen Beschluss“, sagt Telekom-Sprecherin Janette Hachmeister. Ludwig: „Den bekommt man für Verbrechen, nicht für Vergehen, wozu der Enkeltrick gezählt wird. Bei drei beteiligten Tätern fällt die Tat unter Bandenbetrug und ist damit ein Verbrechen. Oft kann die Polizei aber nur zwei Täter nachweisen, obwohl es meist drei oder mehr sind.“

Auch wenn die Ermittler die Nummer hätten, bringe sie das nicht unbedingt weiter: „Die wechseln Sim-Karten und Handys teilweise für jeden Anruf“, sagt Joachim Ludwig. Eine weitere Herausforderung: „Die Anrufer sitzen oft in Polen. Seit 2003 ist der Sprung dorthin keinem mehr gelungen.“ Die Ermittlungen zu einem Enkeltrick seien extrem komplex, der Aufwand immens. „Jeder Enkeltrick hängt mit 1000 anderen zusammen.“

Aber: Es geht. In Karlsruhe ermittelt die vierzehnköpfige Gruppe „Cashdown“, angesiedelt im Dezernat für Organisierte Kriminalität. Innerhalb eines Jahres hat „Cashdown“ bundesweit rund 300 Fälle mit einem Gesamtschaden von 1,6 Millionen Euro geklärt und 23 Tatverdächtige festgenommen. „Auch wenn viele es als Eingriff in die Privatsphäre empfinden, empfehle ich den Wechsel zu einem Telefonanbieter, der die Daten speichert — als Schutz“, sagt Andreas Gerdon, Ermittler bei „Cashdown“.

Polizeisprecher Alexander Kresta will den Banken jedenfalls keinen Vorwurf machen: „Wir stehen in ständigem Kontakt.“ Bei der Stadtsparkasse Wuppertal ist das Thema Enkeltrick präsent: „Unsere Mitarbeiter werden sensibilisiert“, sagt Sprecher Jürgen Harmke. Es habe Fälle wie den von Margret gegeben, in denen ein Betrug verhindert werden konnte. „Wir kennen unsere Kunden. Wenn jemand immer kleine Beträge abhebt und auf einmal mehrere tausend Euro braucht, fragen wir auf nette Weise nach, ob man sich etwas Schönes gönnen will“, erklärt Harmke und betont, dass man niemanden brüskieren wolle: „Es geht uns nichts an, was unsere Kunden mit ihrem Geld machen. Wenn jemand aber vom Enkel in Not erzählt, werden unsere Mitarbeiter hellhörig.“

Im Fall von Margret hat das nicht verhindert, dass die Seniorin Opfer einer Straftat wurde. „Der Mann hat es geschafft, sie einzuwickeln. Er hat geweint und geschluchzt am Telefon“, sagt Anne. „Meine Mutter traut sich nicht mehr aus dem Haus. Sie schämt sich. Wir versuchen ihr Mut zu machen — dass sie sich nicht unterkriegen lassen soll.“