Wie das Bürgertum versuchte, die „soziale Frage“ zu lösen
Das „Allgemeine Armeninstitut“ zu Elberfeld versorgte in den Jahren 1800 bis 1818 bedürftige Menschen finanziell und materiell.
Das „Bergische Magazin“ war die kurze Episode einer Zeitschrift, die sich bereits am Ende des 18. Jahrhunderts — also deutlich vor dem großen frühindustriellen „Boom“ in den aufstrebenden Gewerbezentren Barmen und Elberfeld- auch mit sozialen Problemen befasste. Völlig irritiert fragten damals die Autoren des Blattes, wie es denn nur sein könne, dass dort, wo eigentlich der bürgerliche Reichtum regierte und die Manufakturen wie Pilze aus dem Boden schossen, das Elend und die Armut der Arbeiter so groß sein könne.
Tatsächlich: Dort wo die alten ständischen Sicherungssysteme nicht griffen, war im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts die Lage der Lohnbleicher, Weber, Färber und anderer abhängig beschäftigter Arbeiter durchweg prekär.
Mitte der 90er Jahre zogen die als Bettler anerkannten Menschen samstags, angeführt von einem sogenannten „Bettelvogt“, durch die Straßen. 1780 hatte Elberfeld unter seinen 8 695 Einwohnern eine Anzahl von mehreren hundert Armen.
Das Bürgertum fühlte sich durch die zunehmende Bettelei in seinen Werten bedroht, sorgte sich um Disziplin der Arbeiter und Tagelöhner: In der Straßenbettelei sah man „die Pflanzschule der Müßiggänger und der Verbrechen aller Art“. Und nicht zuletzt fürchteten die aufstrebenden Kaufleute und Verleger auch um den guten Ruf ihrer Städte. Auf der einen Seite merkantiler Wohlstand, der sich in reichen Bürgerhäusern ausdrückte, auf der anderen Seite die zahlreichen Menschen, die buchstäblich in Sack und Asche gingen: arm, krank und zerlumpt. Die Debatte im „Bergischen Magazin“ kreiste 1788 also um die Frage, ob man die Armen in Arbeitshäusern zusammenziehen solle, um sie gezielt zur Arbeit „anzuhalten“ oder nicht.
Diskutiert wurde also die Tauglichkeit der „klassischen“ Mittel aus Zucht und Zwang und weniger Fragen nach Ursachen dieser „neuen“ Qualität von Armut, nach der Höhe der Löhne und den zyklischen Handelskrisen. Das war typisch für diese „protoindustrielle Phase“ der kapitalistischen Entwicklung. Abhilfe versprach man sich Jahre später vom 1800 auf Initiative des Bürgermeisters Johann Jacob Aders gegründeten „Allgemeinen Armeninstituts“ nach Hamburger Vorbild.
Der Elberfelder Unterschied: Es war eine rein städtische Einrichtung, die Kirchen beteiligten sich nicht. Mit Fragebögen wurde peinlich genau die „Bedürftigkeit“ der Armen in den Quartieren erfasst und danach entschieden, wer Unterstützung in Form von Sach- oder Geldmitteln sowie medizinische Hilfe erhalten konnte. Und dieses Institut vollzog einen Paradigmenwechsel in der Diskussion: Künftig setzte man nämlich auf die Wirkung der „Erziehung zum Gewerbefleiß“ und deren vermeintliche moralische Effekte. Der englische Historiker E.P. Thompson stellte rückblickend fest, dass das Bürgertum die eigenen Ansprüche — immer eindringlicher auch im Ton — auf die arbeitende Bevölkerung zu übertragen und zu erzwingen suchte.
Die Wortwahl konnte dabei drastisch sein, wenn etwa Johann Aders die Bettler als „Ungeziefer“ denunzierte. Anfang des 19. Jahrhunderts versorgte dann das Armeninstitut bereits zehn Prozent der Bevölkerung. Es finanzierte sich durch Spenden und städtische Zuschüsse. Als die Spendenbereitschaft der Elberfelder Bürger deutlich nachließ und die finanzielle Lage sich damit immer weiter verschärfte, wurde das „Institut“ 1818 schließlich geschlossen. Die „soziale Frage“ blieb ungelöst.