Neue Podcast-Serie “Ausgezeichnetes Wuppertal“ Wie Lehrer Jungen und Mädchen im Matheunterricht beeinflussen
Wuppertal · Theresa Brühl, Pauline Killmer und Verena Piepenstock haben untersucht, wieso Jungen im Unterricht oft besser abschneiden.
Mädchen können Sprachen gut, Jungen sind dafür besser in Mathematik: So lautet zumindest das Vorurteil. Theresa Brühl (28), Pauline Killmer und Verena Piepenstock (beide 26) haben sich damit befasst, wie Lehrer und die Art des Unterrichts auf die Leistung von Jungen und Mädchen Einfluss nehmen können. Dafür werden sie nun von den Freunden und Alumni der Bergischen Universität (Fabu) mit dem Sonderpreis ausgezeichnet.
In ihren Masterarbeiten haben sie untersucht, wie ungleich Jungen und Mädchen im sogenannten Anfangsunterricht im Fach Mathematik bewertet werden. Sechs Wochen lang haben sie die ersten Klassen dreier Schulen direkt nach den Sommerferien begleitet, mitgeschrieben, was im Unterricht gesagt wurde, haben Protokoll geführt.
Das Thema ist ihnen ein Anliegen. „Ich war immer eine gute Mathematikschülerin. Mir wurde das aber nicht von den Lehrern zugetraut. Ich wurde sogar beschuldigt, dass ich gespickt hätte, weil ich eine sehr gute Mathearbeit geschrieben habe“, berichtet Pauline Killmer. Noch immer sei Mathematik in den Köpfen ein Jungenfach – obwohl Studien das Gegenteil bewiesen.
Schon Kinder haben
Stereotypen im Kopf
Verena Piepenstock berichtet von einer ähnlichen Erfahrung: „Ich erinnere mich an eine Situation in der Oberstufe zurück. Ich habe blonde Haare, zu dem Zeitpunkt kam ich aber auf die Idee, mir die Haare braun zu färben. Mein Mathelehrer sagte: ,Färb dir die Haare lieber wieder blond, dann sieht man dir deine Dummheit direkt an.‘“ Schon Kinder hätten Stereotype im Kopf – gerechnet wird mit dem Papa, Mama ist für Deutsch zuständig.
Theresa Brühl hatte solche Erfahrungen nicht. „Ich erinnere mich, dass ich immer mal wieder Schwierigkeiten in Mathe hatte. Wir wollten wissen, warum Mädchen in Mathematik schlechter abschneiden.“ Denn es gebe Studien, die zeigen, dass Mädchen erst in späteren Jahren der Grundschulzeit in Mathe schlechtere Noten bekommen. „Und es gibt Studien, die zeigen, dass Mädchen, bevor sie eingeschult werden, eigentlich besser sind als Jungen“, so Pauline Killmer.
Verena Piepenstock hat sich im Unterricht angeschaut, wie Lehrer Feedback geben. „Wir kennen das, wir werden gelobt und getadelt“, sagt sie. Sie habe herausgefunden, dass die Aufmerksamkeitszuwendung der Lehrkräfte unterschiedlich ist. „Jungen erhalten im Mathematikunterricht deutlich mehr Aufmerksamkeit als Mädchen. Sie werden häufiger aufgerufen und erhalten auch mehr Lob oder Ermahnungen.“ Jungen würden auch mehr und vor allem schwierigere Fragen gestellt bekommen als Mädchen.
„Auf der inhaltlichen Ebenen ist es so, dass die Mädchen häufiger Lob für ihre Arbeits- und Sozialform bekommen. Dann heißt es zum Beispiel: ,Du bist fleißig. ‘, während Jungen eher für ihre intellektuelle und akademische Leistung bewertet werden und es heißt: ,Toll hast du gerechnet.“ Problematisch sei, dass die Jungen dadurch bevorzugt würden. Dadurch sei es wahrscheinlicher, dass sie mehr Interesse an Mathematik zeigen und mehr Freude daran haben.
Pauline Killmer hat sich mit sogenannten Lernarrangements beschäftigt, also dem inhaltlichen und organisatorischen Arrangement im Unterricht. Dazu zählt beispielsweise die Sozialform, wie Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit. „Manche Lernarrangements sind eher für Jungen oder für Mädchen geeignet, dazu zählen zum Beispiels die Partner- und die Gruppenarbeit, die sich vor allem Mädchen wünschen“, erklärt sie. Dort könnten vor allem Mädchen gut arbeiten. Auch hat sie herausgefunden, dass im Mathe-Unterricht viel mehr klassischer Frontalunterricht durchgeführt werde. Der Lehrer stellt eine Frage und die Schüler antworten. „Das hat zur Folge, dass Mädchen in solchen Lehrer-Schüler-Gesprächen weniger kompetent wirken, denn die Jungen können besser erraten, was der Lehrer hören will“, so Killmer. Mädchen könnten das nicht so gut. „Das wirkt sich darauf aus, wie Lehrkräfte Jungen und Mädchen beurteilen“, so Killmer.
Theresa Brühl hat sich die Leistungskonstruktion angeschaut – also wie Leistung überhaupt konstruiert wird, was als Leistung gilt und wann Jungen und Mädchen als mathematisch leistend gelten. Sie hat sich den regulativen (den verhaltensbezogenen) und den instruktionalen (auf Wissen basierenden) Diskurs angeschaut. „Alles, was entweder gelobt oder getadelt wurde, war ganz viel verhaltensbezogen. Die Lehrkräfte haben viel reglementiert, wie die Schüler sich verhalten sollen“, erklärt sie. Zum Beispiel Ordnung halten, Tische aufräumen, sich richtig hinsetzen. „Auf der Wissensebene konnten wir beobachten, dass Lehrkräfte auch bestimmen, was als richtig und als falsch gilt und man durchhört, was sie hören wollen“, so Brühl.
Mädchen seien eher schüchtern, könnten sich sehr gut an Regeln halten, seien eher ruhig. Jungen forderten viel Aufmerksamkeit ein, würden häufig ermahnt. „So wie Leistung im Anfangsunterricht konstruiert wird, könnte man meinen, dass das nun bedeutet, dass die Kinder, die sich gut an die Regeln halten und die gutes Verhalten zeigen, als leistend gelten. Das wären in dem Fall aber eigentlich Mädchen. Da ist ein Widerspruch entstanden. Das war spannend“, sagt sie. Denn das würde bedeuten, dass Lehrkräfte eigentlich Mädchen als besonders leistend sehen müssten – entgegen den Untersuchungen. „Diesen Widerspruch konnte ich nicht lösen. Man kann vermuten, dass Lehrkräfte aufgrund eigener Stereotype bestimmte Leistungserwartungen an Jungen und Mädchen haben“, fasst sie zusammen.
Die drei ziehen Bilanz: „Der Mathematikunterricht ist auf die Wünsche und Bedürfnisse der Jungen ausgelegt“, sagt Verena Piepenstock. Das lasse sich auch auf andere Fächer übertragen. Piepenstock und Killmer unterrichten neben Deutsch und Mathe auch Englisch, Theresa Brühl Sport. „Bei Sport ist das ein ganz großes Thema. Da festigen sich viele Geschlechterstereotype“, erklärt sie. Die Jungen spielen mit Bällen, die Mädchen mit Seilen und Reifen. „Ich versuche, da offen zu sein, aber man befindet sich ständig in einem Dilemma und muss sich selbst immer wieder daran erinnern, nicht selbst genderbezogen zu bewerten.“ Aber das Bewusstsein sei da und das sei schon die halbe Miete. „Wenn das Bewusstsein bei allen Lehrkräften da wäre, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.“