Die Jäger der gefährlichen Strahlen messen mit der Hand

Man kann Radioaktivität nicht riechen und schmecken - aber messen. Ein Solinger macht die Welt ein Stück sicherer.

Wuppertal. Auch ein Professor kann irren. Sich mit Vielkanal-Analysatoren zu beschäftigen, sei eine brotlose Kunst, sagte Prof. Peter von Brentano seinem Absolventen Jürgen Stein, als sich der Diplom-Physiker 1984 in einem Zimmer der Universität Köln selbstständig machte. Neun Jahre später zog Brentano, Leiter der Kernphysik an der Hochschule, seinen Hut vor dem Solinger: Da hatte Stein gerade eine Niederlassung in Oak Ridge, Tennessee, eröffnet — dem „Silicon Valley der Nuclear Electronics“.

„Target“, wie Stein seine Firma ursprünglich nannte, hat ihr Ziel erreicht: Aus dem „Spin-off“ der Uni wurde ein weltweit beachtetes Unternehmen, das seit Oktober 2010 zu FLIR Systems in Portland gehört (nach einer Periode bei ICx Technologies).

Die Solinger Denkschmiede profitiert von unsicheren Zeiten - von Strahlenunfällen in Atomreaktoren ebenso wie von der Angst vor „schmutzigen“ Bomben von Terroristen. Stein: „Wenn man sich die Entwicklung im Iran ansieht, ist das ein heißes Thema. Im Moment haben wir gerade eine große Nachfrage in den Arabischen Emiraten.“ „Unsere Geräte machen die Welt sicherer, weil die Verbreitung von Kernmaterialien besser kontrolliert werden kann“, erläutert der 57-jährige Geschäftsführer. „Weit über 20 000 Geräte sind im Einsatz — vom kleinsten Handspektrometer, das New Yorker Polizisten und Feuerwehrleute wie ein Handy am Gürtel tragen, bis zum großen ,Radhunter’, der den radioaktiven Inhalt von Containern oder Lastwagen auch durch dicke Mauern scannt.“ Bei der amerikanischen Küstenwache, aber auch in Singapur, wird ein Gerätetyp genutzt, der unter Wasser messen kann. Stein: „Wir sind die Einzigen, die etwas derart Robustes anbieten.“

Ein wichtiges Geschäftsfeld ist die Lebensmittelkontrolle. FLIR entwickelt gerade einen kleinen portablen Messplatz, einen Würfel mit einer Kantenlänge von 30 Zentimetern, der damit nur ein Fünftel des bisher benötigten Platzes einnimmt. Das Gerät soll etwa 15 000 Euro kosten und hat bereits Aufmerksamkeit erregt.

Stein: „Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima interessieren sich in Japan viele Leute dafür. Japaner essen beispielsweise sehr gerne Shiitake-Pilze. Mit unserem Messplatz können sie im Supermarkt selbst die Strahlenbelastung überprüfen.“

Der Messplatz wurde in rund einem Jahr komplett in Solingen entwickelt. „German Engineering spielt weltweit eine große Rolle“, betont der Solinger Physiker. „Euratom in Brüssel und die Atombehörde in Wien arbeiten gerne mit uns zusammen. Im amerikanischen Konzern haben wir Deutschen einen guten Namen; die Qualität der Entwicklungen aus Deutschland ist unschlagbar.“ Produziert wird dagegen inzwischen ausschließlich in den USA, was die Belegschaft in Solingen von 55 auf 35 schrumpfen ließ. Nur sieben von ihnen sind in der Verwaltung tätig; die anderen arbeiten als Entwickler.

Die Arbeit wird ihnen nicht ausgehen: „Die Halbwertzeit von Caesium liegt bei 30 Jahren“, erinnert Jürgen Stein. „Erst dann ist die Strahlung auf die Hälfte reduziert. Tschernobyl etwa ist weiter ein Thema — und wird ein Thema bleiben. Wenn der Geigerzähler anschlägt, ist es zu spät.“

Bis preiswerte Geräte in die Baumärkte kämen, würden allerdings noch zehn bis 20 Jahre vergehen. Schneller will FLIR große Systeme anbieten, die Radioaktivität nicht nur „auf hunderte Meter Entfernung“ messen, sondern auch fotografieren können — wie Wärmebildkameras, die schon jetzt eines der Standbeine des amerikanischen Konzerns sind. Stein: „Die erste Regel für Strahlen heißt: Abstand halten. Unsere Geräte können das Gute vom Bösen unterscheiden.“