Serie "Die Welt in Wuppertal": Interview mit Jorge Inostroza: „Ein Ausländer muss doppelt so gut sein wie ein Deutscher“
Der Chilene kam 1975. Er arbeitet seit fünfzehn Jahren bei der Gepa.
Wuppertal. Herr Inostroza, mögen Sie Deutschland?Jorge Inostroza: Ja, ganz klar, ich fühle mich wohl hier. Aber dieses Land lieben zu lernen, braucht ein paar Jahre. Ganz wichtig sind dabei die Kontakte zu Deutschen, deutsche Freunde. Ich habe hier seinerzeit ganz schnell viele Deutsche kennen gelernt - was nicht passiert wäre, wenn ich nur unter Landsleuten geblieben wäre. Sie sind als knapp 16-Jähriger nach Deutschland gekommen. Wie war der erste Eindruck?Inostroza: Der war ein Schock: Wir sind bei 30 Grad aus Santiago abgeflogen, kamen hier bei minus zehn Grad im deutschen Winter an. Unsere warme Kleidung hatten uns in Chile noch die Militärs abgenommen. So sind wir in Sommerkleidung in Hannover gelandet - und haben eine Woche erstmal nur im Bett gelegen. Heute sind Sie deutscher Staatsbürger, haben Ihre Familie hier - gelungene Integration, würde jeder Politiker sagen. Welche Rolle hat die Arbeitswelt, haben Beruf, Studium und Ausbildung dabei gespielt?Inostroza: Zunächst einmal die Schule war für mich der Ort, wo Integration überhaupt begonnen hat. Das war zwar eine harte Zeit - ich konnte anfangs überhaupt kein Deutsch, musste ein Jahr wiederholen. Aber hier habe ich eben von Beginn an viele Deutsche kennen gelernt, die mir das Land näher gebracht haben, seine Kultur, den Alltag. Nur so kommt man klar. Sich zurückzuziehen bringt nur Frustration. Hatten Sie im Beruf mal das Gefühl, als Ausländer der deutschen Konkurrenz gegenüber benachteiligt zu sein?Inostroza: Bei meinen Bewerbungen zum Bespiel nicht, da hatte ich immer das Gefühl, im Gespräch überzeugen zu können. Ich habe aber von Bekannten gehört, dass es so war - wobei man mit einer solchen Behauptung immer auch vorsichtig sein sollte. Es ist zu leicht, jede Ablehnung darauf zurückzuführen: Die wollen mich nicht, weil ich Ausländer bin. Was ich aber bestätigen kann: Wenn Du als Ausländer in eine Führungsposition kommen sollst, musst Du doppelt so gut sein wie ein Deutscher. Ist das anders bei einem Arbeitgeber wie der Gepa, mit einer betont internationalen Ausrichtung?Inostroza: Heute sicherlich schon, heute ist die Gepa ein betont internationales Unternehmen. Und das war nicht immer so?Inostroza: Ich bin der Vertriebsleiter bei der Gepa im Bereich Weltläden und Gruppen. Das ist der Bereich mit dem größten Umsatz. Als ich vor 15 Jahren angefangen habe, waren alle leitenden Mitarbeiter Deutsche und die Ausländer haben im Lager gearbeitet. Mit meinem damaligen Chef habe ich eine Marketing-Reise durch Deutschland zu unseren Partnern gemacht. Die dachten überall: Ah, da kommt wieder der Kaffeebauer, der uns was über Ausbeutung erzählen will. Dass der freundliche Latino aber einer ist, der hier lebt und eine Meinung hat zu dem, was hier in der Gesellschaft passiert, hat viele irritiert. Das entsprach noch eher einer Entwicklungshelfer-Kultur, die ihre Arbeit nicht als Partnerschaft gesehen hat, sondern als Unterstützung von oben. Das alles meine ich nicht als Vorwurf, aber da musste auch hier ein Entwicklungsprozess stattfinden. Wenn Sie die aktuellen Debatten um Einwanderung sehen: Wer muss sich mehr bewegen in Richtung Integration - die Deutschen oder die Ausländer?Inostroza: Ich würde sagen, beide Seiten. Als Ausländer muss es für mich selbstverständlich sein, mich dem neuen Land anzupassen, seinen Gesetzen, seine Sprache zu lernen, seine Kultur - das muss ja nicht heißen, dass man seine Traditionen aufgibt. Und auf deutscher Seite?Inostroza: Dieses Land muss akzeptieren, dass hier viele Menschen leben, die woanders geboren, aber Teil der Gesellschaft sind. An meiner Tätigkeit zum Beispiel hängen auch deutsche Arbeitsplätze - und es gibt tausende solcher Menschen hier, nicht nur kleine Gemüsehändler. Dieses Bewusstsein aber fehlt bei vielen Leuten. Mein Sohn zum Beispiel ist hier geboren und wurde von mir so erzogen: "Du bist Teil dieses Landes." Dass er Ausländer sei, hat man ihm das erste Mal in der Schule gesagt. Aber Jugendliche wie er kennen nur dieses Land. Auch sie sind Deutsche. Und sie verstehen nicht, warum Roland Koch sie für Wahlpropaganda benutzt.