Gedenken Vor drei Jahrzehnten stand „Wilhelm Tell von Auschwitz“ vor Gericht
Wuppertal · Zum Holocaust-Gedenktag berichten Richter von dem NS-Prozess vor dem Landgericht.
Er hatte einen makaberen Spitznamen: „Wilhelm Tell von Auschwitz“. So wurde Gottfried Weise genannt, ein als besonders brutal und grausam geltender Aufseher im KZ Auschwitz-Birkenau. Denn er stellte Gefangenen, auch Kindern, Konservendosen auf Schultern und Kopf und schoss sie herunter. Und tötete die Opfer anschließend. Nach dem Krieg lebte er als Bauführer in Solingen, musste sich ab 1986 wegen Mordes vor dem Wuppertaler Landgericht verantworten. Der Prozess ist Thema der diesjährigen Veranstaltung der Stadt zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am Sonntag, 27. Januar, 16 Uhr, in der Citykirche, Kirchplatz 2.
An das Verfahren, seine Vorgeschichte und seine Folgen erinnern die damaligen Richter Wilfried Josef Klein, Norbert Koep und Wilfried Keiluweit. Sie haben zwei Jahre verhandelt, sich intensiv mit der Zeit und den Vorgängen im Lager Auschwitz-Birkenau, besonders den Zuständigkeitsbereich von Gottfried Weise beschäftigt. Sie hörten zahlreiche Zeugen, teils weitere ehemalige Mitglieder des Lagerpersonals, teils überlebende Gefangene, fuhren dafür sogar nach Israel. Die WZ schrieb einmal von „langer, ebenso hartnäckig wie sensibel geführter Verhandlung“.
Am 28. Januar 1988 sprach die Schwurgerichtskammer das Urteil, verhängte wegen fünffachen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe für den damals 66-jährigen Angeklagten. Im Urteil berichten die Richter von dem brutalen und rücksichtslosen Umgang des SS-Manns mit den Gefangenen, die er wegen nichtiger Anlässe demütigte und hart bestrafte.
Die Richter waren davon überzeugt, dass er mehrere Häftlinge eigenhändig durch gezielte Schüsse mit seiner Dienstpistole tötete, teils als Bestrafungsaktion, teils nach „Schießübungen“ auf Konservendosen auf Kopf oder Schultern der Häftlinge. Auf diese Weise quälte und tötete er unter anderem einen sechs- bis zehnjährigen Jungen.
Der Angeklagte bestritt die Taten, aber für das Gericht stand ohne jeden Zweifel fest, dass er sie begangen hat, um aus seiner Sicht nichtswürdiges Leben auszulöschen. In der Revision wurden drei Mordfälle bestätigt, Weise tauchte ab, wurde aber in der Schweiz gefasst. 1997 erhielt er Haftverschonung wegen Erkrankung, starb 2002.