Krisenschauspiel Proben für die Geisterpremiere beginnen
Das Schauspielensemble ist in Coronapause. Noch. Anfang Mai beginnt die Arbeit wieder. Aber sie wird so anders sein, wie die Ergebnisse, die sie erzeugt, sagt Intendant Thomas Braus.
Er benutzt die Phrase, zögert kurz. Aber dann ist Thomas Braus doch sicher, dass sie passt, wenn sie auch noch so abgedroschen sein mag: In der Coronakrise steckt auch eine Chance, sagt der Intendant des Wuppertaler Schauspiels. Und das stimmt in diesem Fall sicher ganz genauso wie es in vielen anderen Fällen auch stimmen könnte. Nur mit dem Unterschied, dass Braus und sein Ensemble an dieser Chance arbeiten.
Die Krise ist nicht das Ende des Theaters, es ist der Anfang zu etwas Anderem, etwas Neuem, etwas Widersinnigem vielleicht, weil gerade das Theater von Nähe lebt, von Unmittelbarkeit und vom Gefühl des Zuschauers, dem Akteur auf der Bühne emotional verbunden zu sein. Das ist in Zeiten des Abstandsgebotes und der per Verordnung leeren Zuschauersäle nur schwer herzustellen. Aber unmöglich ist es nicht. Braus und seine Schauspieler besprechen Podcasts, spielen vor einem Seniorenheim in Vohwinkel auf der Ladefläche eines Lasters. „Nur sieben Minuten. Aber es war unheimlich schön, wieder live zu spielen“, sagt der Intendant. In diese Richtung wolle er denken, immer, aber immer auch mit Abstand.
Seine Schauspieler arbeiten und proben auch in der erzwungenen Pause, sie lesen online Märchen vor, beschäftigen sich mit dem, was ihnen demnächst bevorsteht - die Chance, Schauspiel anders, neu zu definieren, vorübergehend vielleicht, aber auch notwendigerweise. „Zwei Meter Abstand“, ist die Aussage, die Braus im Gespräch immer wieder wie programmiert über die Lippen geht. „Theater ist live“, sagt er. Mit Abstand.
Ab Mai laufen die Probe an –
mit zwei Metern Abstand
So soll Anfang Mai die Arbeit wieder aufgenommen werden, zwei Meter voneinander entfernt, ausgestattet mit einem Mundschutz, sicher ist sicher, weil es sonst nicht ginge und auch gar nicht erlaubt wäre. Mit allen Kollegen ist gesprochen, auch mit den Regisseuren, die unter äußerst ungewohnten Bedingungen die beiden Stücke inszenieren, proben, für die Geisterpremiere. Dabei fürchtet Braus nicht die Erwartungshaltung seines Wuppertaler Publikums, dem „Der Tod des Handlungsreisenden“ schon beim Lesen des Titels Bilder ins Hirn projiziert. „Kunst muss sich immer entwickeln“, sagt er. Die Herausforderung sei nun, Intimität mit zwei Metern Abstand zu erzeugen. Das gilt für den Handlungsreisenden wie für „Benefiz - jeder rettet einen Afrikaner“, in dem es um political correctness und deren Tücken geht - und dass alles hinter Masken.
Für den Intendanten ist das nichts Unbekanntes. Er kommt von der Commedia dell’arte, bei der Masken eine Hauptrolle spielen. Und auch Schauspiel ohne Kontakt ist für die Bühne keine Neuigkeit. Vor knapp zehn Jahren setzte Marcus Lobbes Ibsens Baumeister Solness in Wuppertal in Szene. Darin spielen die Schauspieler in großen Kisten, ohne sich zu sehen geschweige denn berühren zu können. „Wir haben damals dafür sehr viel Lob bekommen“, erinnert Braus sich.
Darum geht es immer. Um die Gunst des Publikums, um die Auseinandersetzung mit den Ideen eines Autors, darum, sie sichtbar und fühlbar zu machen. Diesmal aber geht es um noch viel mehr. Die Arbeit des Schauspiels findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die wichtige Kommunikation des Ensembles mit seinem Publikum fällt vollständig aus. Zwar hat das Schauspiel sehr viel Zuneigung und Verständnis erfahren, als es darum ging, bei Abonnenten zu werben, und viele haben auch auf die Erstattung ihrer Ticketkosten verzichtet. Aber aus den Augen kann auch aus dem Sinn bedeuten. Deshalb gibt es die Bühnen auch digital, sogenanntes Streaming, wie beispielsweise „IchundIch“ von Else-Lasker-Schüler am Montag ab 18 Uhr auf nachtkritik.de, sollen jenen helfen, die nicht ganz auf die Bühnen verzichten können und wollen, und es soll das Ensemble im Gespräch halten für den Tag X. „Wir wissen nicht, wann das sein wird. Wir müssen mit der Krise mitgehen und nicht hinterher“, sagt Braus. „Wir versuchen, etwas Neues zu entwickeln.“ Und: „Wir produzieren nicht ins Nirvana. Wir wollen nach dem Proben auch spielen - und wenn es nur vor 30 Zuschauern ist.“