Klavierfestival Ruhr Warum Chilly Gonzales das Cello liebt

Der Tausendsassa bringt mit Klavierspiel und Show die Stadthalle zum Kochen.

Chilly Gonzales und Stella La Page spielten mehrere Komositionen gemeinsam.

Foto: Peter Wieler

Restlos ausverkauft war der Große Saal der Stadthalle. Das Klavier-Festival Ruhr hatte eingeladen. Doch dieses Mal war kein Tastenvirtuose der Klassik zu Gast. Die Besucher kamen nämlich, um sich einfach nur gemütlich zurückzulehnen und einen Entertainer zu erleben, der live allerorts für Kurzweil sorgt. Sein Name: Chilly Gonzales, alias Jason Beck. Nur wurden die Gäste etwas auf die Folter gespannt, bis ihre Erwartungen erfüllt wurden.

War das nicht ein Opener wie damals bei den Konzerten, etwa aus den 1970/80er Jahren? Spielte da nicht Chick Corea seine „Children‘s Songs“? Hatte nicht ganz spontan Keith Jarrett sein Kölner Konzert nach Wuppertal verlagert?

„Licht aus, Spot an“ wie seinerzeit bei den Fernseh-Discos mit Ilja Richter? Denn als sich der Herr, begleitet von tosendem Beifall, an den Flügel setzte, war es auf einmal stockdunkel. Dann war nur ein Spot auf ihn gerichtet, als er loslegte. Stimmt alles nicht. Er war es wirklich, der Tausendsassa Chilly Gonzales im Bademantel und in Schluffen, der nach etwas mehr als zwei Stunden die Gäste happy gen Heimat entließ und mit stolz geschwellter Brust auf Englisch zu verstehen gab: „Jetzt habe ich mir Wuppertal verdient“ – nach zwei Auftritten zuvor, die er in Essen, ebenfalls im Rahmen des Klavier-Festivals, bestritten hatte. Nach diesem Set war Schluss mit dem Solo-Klavierspiel. Ab jetzt war er ganz der Alte. Ihm gegenüber die versierte Cellistin Stella Le Page, mit der er so manche fetzige Nummer zum Besten gab.

Los ging es mit der Musiklehrstunde. Ganz wichtig: Er liebt das Cello mehr als das Klavier, weil aus ihm viel mehr schöne Töne kommen. Auf dem Klavier drücke man eine Taste herunter und der Ton sei einfach nur da. Das könne auch ein DJ. Er erklärte Johann Sebastian Bachs einfaches Kompositionsprinzip, indem er Motive (auf dem Klavier) nach rechts verlagerte und wiederholte. Das hätten in der Popmusik Kurt Cobains „Nirvana“ und Britney Spears übernommen. Das Publikum war entzückt über die erstaunlichen, am Flügel demonstrierten Erkenntnisse und durfte dann bei einem Rap per Fingerschnipsen tatkräftig mitmachen.

Und Mister Hansdampf in allen Gassen war wieder für eine Überraschung gut. Sein Stück „Prelude in C Sharp Major“ (Präludium in Cis-Dur) ist eindeutig dem ersten Präludium Bachs aus dem wohltemperierten Klavier abgekupfert. Nee, das spielte er nicht selber.

Joseph Moog, der tags darauf in Mühlheim das diesjährige Klavier-Festival Ruhr offiziell beschloss, kam unerwartet aus den vorderen Reihen des Auditoriums auf die Bühne und spielte es auswendig ohne Fehl und Tadel. Dann ließ er sich natürlich auch überreden, prima vista (er sah die Noten zum ersten Mal) eine weitere Nummer vom Blatt zu spielen. Auch das gelang ihm einwandfrei, wobei Gonzales mit einer Melodica am Mund mitmischte.

Vor der letzten der sechs Zugaben (eine witzige davon an der Stadthallenorgel) machte Gonzales noch die Probe aufs Exempel: Kann das Publikum mit dem Musikstück 4‘33‘‘ des Avantgarde-Komponisten John Cage umgehen? Vier Minuten und 33 Sekunden absolute Stille können sehr lang sein. Die Geräuschkulisse sprach für sich. Er und Le Page hatten damit keine Schwierigkeiten. Denn für jeden Musiker ist Tacet (das Fachwort für Schweigen) genauso Musik.