Talk Wie der Hass aus dem Netz das Ehrenamt bedroht

Wuppertal · Im Barmer Bahnhof sprach Moderatorin Bettina Böttinger mit Politikern und Bürgern über digitale und reale Angriffe.

Was kann der Staat tun? Bettina Böttinger (l.) im Gespräch mit NRW-Innenminister Herbert Reul.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Im Barmer Bahnhof sitzen viele Menschen, die Hass erleben mussten. Da ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh, auf den im Internet ein „Kopfgeld“ ausgesetzt wurde, und dessen Facebook-Account schon zwei Mal von Hackern gekapert wurde. Und da sind Schiedsrichter, Feuerwehrleute und Sanitäter, die bei der Ausübung ihres Ehrenamtes persönlich bedroht und angegriffen wurden. Die Moderatorin Bettina Böttinger hat sie zu ihrem WDR-Talk „Ihre Meinung“ nach Wuppertal eingeladen. Das Thema, das die Anwesenden, sichtlich bewegt, heißt „Beleidigt und bedroht - wer traut sich noch in Ehrenamt und Politik“.

Unter den Gästen sind auch eine Reihe von WZ-Lesern, die bereits vor Aufzeichnung der Live-Sendung einen aufschlussreichen Einblick mit Bettina Böttinger hinter die Kulissen einer Fernsehsendung erleben durften und sich nun auch in der Sendung zu Wort melden. Zum Beispiel Jan Niklas Benn (19), der als Wuppertaler Juso feststellen muss: „Wer auf Twitter seine Meinung vertritt, der bekommt schnell Morddrohungen. Das finde ich erschreckend.“

Droh-Schreiber veröffentlichte
Privatadresse einer Ratsfrau

Der Abend zeigt, wie unterschiedlich Betroffene mit anonymen Drohungen umgehen. Monika Gärtner-Engel, die 20 Jahre im Stadtrat von Gelsenkirchen saß, berichtet von einer Serie von Morddrohungen. Die Schreiber hatten ihre Privatadresse veröffentlicht und dazu aufgefordert, sie „Tag und Nacht zu besuchen“. Die Lokalpolitikerin ließ sich nicht einschüchtern und erstattete Strafanzeige. „Der Täter sitzt heute hinter Schloss und Riegel.“ Auch der Wuppertaler Helge Lindh bemerkt nach den Attacken auf seine Person, die immer dann einsetzen, wenn er im Bundestag zum Thema Asylpolitik spricht: „Wenn ich zu sehr daran denke, bin ich nicht mehr frei.“ Er wolle auf jeden Fall darauf achten, sein Verhalten aufgrund der Morddrohungen nicht zu verändern.

Doch nicht jeder hält den Psycho-Terror aus. Hartmut Ziebs ist als Präsident des deutschen Feuerwehrverbandes zurückgetreten. Er hatte vor einer Unterwanderung der Feuerwehr durch die AfD gewarnt. Danach habe er Briefe mit unbekannten Flüssigkeiten und SS-Runen nach Hause gesendet bekommen. Unter anderem wegen diesen Drohungen habe er sein Amt niedergelegt - auch mit Blick auf seine Familie. „Am meisten hat meine Frau darunter gelitten.“

NRW-Innenminister Herbert Reul:
„Es gibt keine Zauberlösung“

Bettina Böttinger will wissen: „Was können wir tun, um diese Leute besser zu schützen?“ Eine Antwort soll NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) geben. Doch der muss eingestehen: „Es gibt keine Zauberlösung.“ Wichtig sei, dass Menschen die Bedrohungen im Netz anzeigen. Nicht selten stünde den Ermittlern jedoch der Datenschutz im Weg: „Das Hauptproblem ist, dass wir an die Täter nicht herankommen.“

Die Journalistin Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der Anlaufstelle „Hate Aid“ für Opfer von Hass aus dem Netz, kritisiert Polizei und Justiz, die oftmals bei dem Thema noch nicht sensibilisiert genug seien. Von Hodenberg berichtet: „Da sagen dann Beamte: ,Löschen Sie doch Ihren Facebook-Account’.“

Sie macht anschaulich, wie leicht sich in der Anonymität des Internets eine kleine Gruppe Menschen als vermeintliche Masse tarnen kann: „Das sind organisierte Angriffe aus politischen Lagern. Die machen sich viele falsche Accounts.“ Der Betroffene denke dann, ganz Deutschland greife ihn an. „Das erzeugt ein Bedrohungsgefühl.“

Einigkeit erzielt die Talk-Runde schließlich darüber, dass im Netz, aber auch auf der Straße, mehr Zivilcourage und Solidarität mit den Opfern eine gute Strategie sein kann. Rainer Kokenbrink, stellvertretender Schulleiter des Johannes-Rau-Gymnasiums in Barmen, stellt fest, dass alle Bürger gemeinsam gefordert sind, bei Entgleisungen genau hinzuschauen. Anna-Lena von Hodenberg stimmt zu, dass Solidarität mit den Opfern hilft. „Wenn wir genug sind, die sich dagegen wehren, dann ist das ein Zeichen.“ Das tue auch den Betroffenen gut.