Café Ada Der Sozialrevolutionär legt Schminke auf
Wuppertal · Stück von Torsten Krug zeigt Friedrich Engels in all seiner Vielschichtigkeit.
Von Michael Bosse
Wenn man sich einer historischen Persönlichkeit aus wissenschaftlicher oder kultureller Sicht annähert, tut man meist gut daran, auch hinter die öffentliche Figur zu blicken. Insofern hat Autor und Regisseur Torsten Krug für sein Stück über Friedrich Engels den richtigen Ansatz gewählt: Er zeigt den Barmer Fabrikantensohn, Sozialrevolutionär, Philosophen und Journalisten im privaten Umfeld - am Schminktisch oder auf dem Chaiselongue, sitzend, liegend oder stehend, parliert er über sein Leben, seine Beziehung zu Marx oder seine Liaison mit zwei irischen Fabrikarbeiterinnen, die noch dazu Schwestern sind.
Am Sonntagabend erlebte das Stück mit dem Titel „Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts“ im „Café Ada“ seine analoge Premiere vor realem Publikum. Krug zeichnet darin eine Art Psychogramm von Friedrich Engels, inklusive all der Widersprüche des Mannes, der von sich sagt: „Ich bin ein Anwalt der Armen und stamme aus gutem Hause.“
Die Schauspielerin Julia Wolff schlüpft in die Rolle Engels’ verwandelt sich in die prominente Persönlichkeit, inklusive Rauschebart, Zigarre und Gehrock. Das anlässlich des Engels-Jahres entstandene Stück präsentiert sich als verbaler Mono- und szenischer Dialog. Denn Wolff spricht zwar als einzige in dem Stück, wird dabei aber von der Kamerafrau Laura-Alina Blüming begleitet. Blüming filmt die Darbietung Wolffs, die Aufnahmen werden in Echtzeit auf eine Leinwand übertragen. Die Veranstalter nennen das Stück deshalb auch „Hybrid aus Film und Theater“.
Und in gewisser Weise war auch Engels ein Hybrid. Ein Mensch, der aus sehr wohlhabenden Verhältnissen stammt, aber gleichwohl das Schicksal der arbeitenden Klassen nicht aus den Augen verlor, der sich für deren Belange einsetzte, nicht vornehmlich auf den Barrikaden, der aber - in Kooperation mit Karl Marx - die theoretischen Grundlagen für eine mögliche Verbesserung der Gesellschaft schuf.
Dass Engels dabei nur die „zweite Violine“ spielt, gesteht er unumwunden ein, fühlt aber auch keine Missgunst auf den intellektuell überlegenen Mitstreiter: „Ich begreife überhaupt nicht, wie man auf ein Genie neidisch sein kann!“
Stück spielt im Hotspot
der Industrialisierung
Dass Engels, der dem heimischen Barmen und den zunehmenden Repressalien in Deutschland in Richtung Manchester entfloh, in England ein Doppelleben führte und zwischen den Welten driftete, zeigt das Stück. Es spielt in Manchester, einem Hotspot der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, in dem Engels ab Herbst 1849 seine Zuflucht fand. Zugleich hat das Land einen entscheidenden Vorteil gegenüber Deutschland: Hier gebe es keine Arbeiterbewegung, sagt Engels. Da finde er „Ruhe fürs theoretische Weiterarbeiten“.
Wolff lässt die verschiedenen Facetten Engels’ überzeugend aufscheinen, die Texte selbst sind sehr anspruchsvoll und vielschichtig. Laut Krug floss in die Aufführung zu etwa 70 Prozent Originalton Engels, der Rest wurde mit eigenen Texten - etwa einer abschließenden Anekdote zu Rudi Dutschke - ergänzt. Dabei habe man auch zeigen wollen, „dass Engels eine sehr moderne Figur ist“, betont Krug. So setzte sich Engels auch für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein - was für den Regisseur ein Grund war, die Rolle mit einer Frau zu besetzen.
Die Aufführung des Stücks, das in Kooperation mit der „Börse“ entstand, war wegen des unsicheren Wetters von der Alten Feuerwache ins „Café Ada“ verlegt worden. In diesem Winter und Frühjahr waren die ersten fünf Aufführungen im Internet gestreamt worden, nach der analogen Premiere soll das Stück nun auch noch einige Male in der „Börse“ zu sehen sein.