Familientradition Ein Kahn, in dem Geschichte steckt
Alle zwei Jahre trifft sich der Clan der Loyals zu Pfingsten. Für das anstehende Familienfest hat Manfred Loyal jetzt den Kahn aus seinen Kindertagen nachgebaut, der anschließend an ein Museum geht.
Wenn der Tischlermeister Manfred Loyal am Gründonnerstag in Beyenburg die „Kahn für Kant“ ins Wasser lässt, dann stecken in dem Flachbodenkahn nicht nur ganz viele Arbeitsstunden. Für Loyal sind mit ihm intensive Kindheitserinnerungen verbunden. Als er ein Junge war, da stakte seine Familie in Ostpreußen Menschen über die Angerapp, die zwischen dem Kirchdorf Jutschen mit seinem Bahnhof und den Dörfern Semkuhnen und Ischdaggen hin und her wollten. „Den Ruf ,hol über’ konnte man im Haus hören. Dann ist jemand los und hat den Mann rübergestakt.“ Zu den Passagieren gehörte der Postbote. Und manchmal sei mit einem Bauern auch mal ein Schaf mitgefahren.
Gefischt wurde für den Eigenbedarf – und die Nachbarn
Weiter diente der Kahn der Familie Loyal zum Fischen. „Einmal in der Woche ging es los. Hinten stand der Onkel und hat gestakt, vorne war der Vater mit dem Netz. Ich saß auf der Bank und musste schöpfen.“ Angerapp, das bedeute Aalfluss. „Ach, da gab es Hechte, Aale, Barsche, Barben. Der Fluss war so fischreich.“ Gefischt wurde für den Eigenbedarf. „Und bei einem besonders reichen Fang bekamen die Nachbarn etwas ab.“
Schon damals waren die Kähne selbst gebaut. Die Liebe zum Holz lag in der Familie. Loyals Vater war ein Stellmachermeister, der nebenher Landwirtschaft betrieb. Die „Kahn für Kant“ halten moderne Spezialschrauben zusammen. Und Loyal, der nach der Flucht aus Ostpreußen nach Schleswig-Holstein kam und später in Eckernförde mit Bootsbau in Berührung kam, bevor ihn die Liebe nach Wuppertal führte, übernahm einige Techniken für seinen Nachbau. „Es soll niemand schöpfen müssen“, sagt er. „Und ich muss sehen, dass das Ding keine Schlagseite hat.“ Vor der „Kahn für Kant“ liegt nämlich mehr als Wupperwellen: Einmal noch wird Loyal mit ihr Menschen über die Angerapp staken. Und das hat im weitesten Sinne tatsächlich etwas mit Immanuel Kant zu tun.
Das nächste Treffen der Loyals findet im Juni in Ostpreußen statt
Alle zwei Jahre trifft sich der Clan der Loyals zu Pfingsten. Ursprünglich aus Metz stammend, musste die Familie im Zuge der Hugenotten-Verfolgungen Frankreich verlassen. Schließlich wurde Samuel Loyal 1717 in Ostpreußen angesetzt. Der Preußenkönig hatte viel Land und zu wenig Menschen, um es zu bewirtschaften. Er nahm Zuwanderer mit offenen Armen auf. 1723 kam Samuel nach Semkuhnen, 1736 war er Kirchenältester in Jutschen. Kant war für drei Jahre der Hauslehrer der Pfarrerskinder dort.
Das nächste Treffen der Loyals Anfang Juni findet im ehemaligen Ostpreußen statt. „Es war ein spontaner Entschluss: So ein Boot baue ich und fahre sie dort über den Fluss.“ Heute gehört die Gegend um die Angerapp zur russischen Enklave Kaliningrad. Von Jutschen und Semkuhnen ist nicht viel geblieben. Die Sowjets haben viel zerstört. Manfred Loyal: „Wenn ich die Gegend sehe, muss ich weinen.“ Im ehemaligen Pfarrhaus hätten zwar noch eine Weile zwei Familien gewohnt, dann sei es aber verfallen.
Und wäre Ruine geblieben, wenn es nicht Dirk Loyal gäbe. Der treibt nicht nur Familienforschung, er ist Historiker und Mitglied der Kantgesellschaft. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass das Pfarrhaus, in dem Kant Hauslehrer war, aufgebaut und zu einer Begegnungsstätte wurde. Und ein Kantmuseum beherbergt, zu dessen Exponaten auch die „Kahn für Kant“ gehören wird.
Von den über 60 Menschen, die zu den Clantreffen kommen, fahren etwa 25 nach Kaliningrad und werden dabei sein, wenn der Kahn an das Museum übergeben wird. Ein Kahn, in dem Geschichte steckt. Und der als Nachbau eines Fährkahns, ein Mittel der Verbindung, in einer Begegnungsstätte eine passende neue Heimat finden wird.