Gastbeitrag „Der Begriff Mohr hat auch etwas Stärkendes“
Wuppertal · Historiker Heiko Schnickmann äußert sich in einem Gastbeitrag zur Diskussion über die Mohrenstraße in Wuppertal.
Wer eine Straße umbenennt, hat zwischen zwei Aspekten abzuwägen. Zum einen ist dort der Grund der Umbenennung, zum anderen ist dort die dadurch für die Anwohner entstehende finanzielle und zeitliche Belastung, diese Umbenennung bei Versandhändlern, Freunden, Institutionen und so weiter bekannt zu machen.
Im Fall der Mohrenstraße in Heckinghausen wird als Grund zum Wunsch der Umbenennung genannt, dass der Name Mohr rassistisch sei und eine Gruppe von Menschen emotional verletze. Das Argument ist demnach ein moralisches. Konkret muss derjenige, der die Umbenennung zu entscheiden hat, also zwischen einem moralischen Gefühl und einer zeitlich begrenzten und Kosten verursachenden Belästigung der Anwohner abwägen.
Wer nicht zu einer der betroffenen Seiten gehört, mag sich eine der beiden durch Befragung des Gewissens, des Herzens oder des Verstandes aussuchen, wer konkret die Umbenennung zu entscheiden hat, braucht aber mehr, um diese Entscheidung zu treffen. Weder genügt der Hinweis auf den schon seit 1873 bestehenden Straßennamen noch die ohne Nachweis geführte Aussage, der Straßenname sei rassistisch.
Die Berliner Mohrenstraße, die als Vergleich immer wieder herangezogen wird, hat in ihrer Bezeichnung einen historisch bestätigten Beleg auf Schwarze Menschen, die dort tatsächlich zeitweise gewohnt haben beziehungsweise untergebracht waren. Es gibt Quellen, die einen solchen Zusammenhang nahelegen, in mehreren Fällen kann man dabei auch einen rassistischen Aspekt annehmen. Im Wuppertaler Fall existieren solche Quellen nicht.
Natürlich gibt es dennoch ein paar Indizien dafür, dass es einen rassistischen Hintergrund geben könnte. Eine Umbenennung in dieser Zeit passt zu den damaligen Bestrebungen einzelner Organisationen, auch in Deutschland Kolonien populär zu machen. Da Bismarck bekanntlich wenig von Kolonien hielt, musste, wer der Idee Aufmerksamkeit geben wollte, andere Mittel finden. Die Umbenennung einer Straße hatte da durchaus Sinn. Die ehemalige Obere bzw. Oberbarmer Gasstraße in Heckinghausen war recht neu, doch war Heckinghausen zu diesem Zeitpunkt ein recht düsterer Ort, der erst recht spät beleuchtet wurde. Als Werbemaßnahme, um die Idee der Kolonien zu propagieren, war die Straße recht ungeeignet. Auch kann man sich fragen, ob Mohr tatsächlich ein gutes Werbewort ist, um ein solches Projekt durchzusetzen.
Es gibt die Bezeichnung Mohr zudem auch für Textilien, die aus Seide gemacht werden. Es ist eine Abwandlung des Wortes Mohair. Im nahe gelegenen Rauenthal befand sich eine Fabrik der Firma Mittelsten Scheid, die Seidenprodukte herstellte. Also ist es auch möglich, dass hier eine Verbindung besteht.
Wesentlich wahrscheinlicher ist aber der Hinweis auf eben jene Gasanstalt, die dort in den 1860er Jahren aufgebaut wurde. Bedenkt man die damaligen nicht vorhandenen Umweltschutzmaßnahmen, kann man sich nicht nur vorstellen, dass die Arbeiter Ruß geschwärzt ihren Arbeitsplatz verließen, sondern auch dass die angrenzenden Häuser immer dunkler wurden, immer schwärzer wurden, sie gar zu Mohrenhäusern wurden.
Damit ist man bei einem Grundproblem angelangt. Mag die These, der Begriff Mohr sei rassistisch belastet, in Kreisen von Aktivisten, die sich tagtäglich mit Rassismus auseinander setzen, klar so belegt sein, ist dies in der breiten Bevölkerung noch nicht angekommen. Dafür gibt es gute Gründe. Die Vertreter der These, das Wort sei rassistisch, führen an, es leite sich ab von dem griechischen Wort für dumm. Heute gibt es in der englischen Sprache noch den Begriff moron, der eben eine Person in diesem Sinne beleidigen soll. Sprachwissenschaftler, die sich auf Wortetymologie spezialisiert haben, weisen diese These zurück und sprechen von einer Herkunft aus dem Lateinischen, wo das Wort maurus einfach schwarz heißt. Die Herkunft aus dem Griechischen geht auf einen englischen Literaturwissenschaftler zurück, der in Shakespears Othello den Begriff in dieser Weise gedeutet hat. Für das englische Wort mag daher die Herkunft und Bedeutung stimmen, für das deutsche sind sie damit noch lange nicht belegt. Ein Hinweis auf unterschiedliche Bedeutungen von Wörtern der selben Wortherkunft in unterschiedlichen Sprachen bietet das Wort Rasse, das im Deutschen eine ganz andere Konnotation besitzt als das englische Wort race.
Schaut man sich Texte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an, also jenen Epochen, in denen das Wort noch relativ unbelastet Verwendung fand, zeigt sich schnell, dass Mohr hier synonym für schwarz benutzt wurde. Es war eine Differenzierung zwischen den Europäern und den Afrikanern. Dabei kam es sowohl zu abschätzigen Bemerkungen, etwa in Bezug auf die Attraktivität der Menschen, als auch zu Hochachtung, wenn einzelne Individuen oder Gruppen wegen ihrer Weisheit, Ehrlichkeit und Schönheit gelobt wurden.
Das Problem am Wort Mohr ist einfach die Tatsache, dass es mit den Bewohnern Afrikas jenseits der Sahara verbunden ist. Die europäisch-afrikanische Geschichte (und zum Teil auch noch die Gegenwart) ist durch ein asymmetrisches Verhältnis gekennzeichnet, das in den meisten Fällen Europäer begünstigt hat. Aus diesem Überlegenheitsgefühl heraus wandelt sich ein Wort und wird irgendwann verletzend, selbst wenn es in Einzelfällen gar nicht so gemeint war.
Die Namen Maurice und Moritz haben ihre Wurzeln übrigens auch bei dem Begriff Mohr. Bei ihnen gab es einen Umweg über den Heiligen Mauritius, einen Schwarzen Heiligen, der als Schutzheiliger der Heere und Waffenschmiede gilt. Kaiser Otto der Große war ein wahrer Fan dieses Heiligen. Das ist zwar schon über 1000 Jahre her, aber vielleicht kann man ja diese Vergangenheit nutzen und den Begriff nicht mehr als kränkend sehen, sondern als stärkend. Es wird zwar einige Zeit dauern, bis sich dieses Bild etabliert, aber es wird sicherlich gelingen. Die Bewohner der Mohrenstraße bräuchten ja auch einige Zeit, um sich an eine Änderung des Straßennamens zu gewöhnen und alle damit einhergehenden Unannehmlichkeiten hinter sich zu lassen.