Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Die Dinge neu begreifen

Wuppertal · Turnaround in der Ausstellungspraxis eines Museums.

Tine Lowisch  

Foto: CLAUDIA SCHEER VAN ERP

Heute startet im Kunstpalast in Düsseldorf die Preview der Ausstellung des weltweit erfolgreichen britischen Bildhauers und Wuppertalers Tony Cragg: „Please touch!“ als ein außerordentlich überraschendes Kunstexperiment, bei dem erstmalig Besucher dazu eingeladen sind seine Skulpturen in einem Museum zu berühren. Die Einladung zur Vorabbesichtigung dieses Events ist an alle Freunde des Kunstpalastes längst raus und die offizielle Ausstellungseröffnung morgen, ebenfalls ausgebucht.

Das Interesse an diesem Paradigmenwechsel und an dieser neuen Strategie des Zeigens in der institutionellen Museumslandschaft persönlich teilzunehmen ist also ausgesprochen. Der Bedarf, ob die Museumsbesucher den künstlerischen Prozess Tony Craggs nachempfinden werden, wenn der Tastsinn dem Sehsinn als Rezeptionswerkzeug – und das ist gerade bei diesem Künstler völlig neu – versuchsweise zur Seite gestellt wird, zeigt sich dann im Laufe der Schau. Da darf man gespannt sein.

Seit ich von diesem Turnaround in der Ausstellungspraxis eines Museums erfahren habe, bin ich wie ausgewechselt, geradezu elektrisiert und gebe spontan meine mentale Schonhaltung, aufgrund zu vieler schmerzhafter Nachrichten in der letzten Zeit, auf. Wieder einmal hat sich durch einen „Kunstgriff“ mein Weltschmerz für einen kurzen Augenblick in Zuversicht verwandelt. Kunst kann das, und dafür bin ich dankbar. Die Erfahrung eine von Tonys Skulpturen wieder einmal berühren zu dürfen, dazu noch in einem Museum bei laufendem Betrieb, wird allerdings auch für uns und auch für viele andere, die bisher im Vorfeld z. B. bei der handwerklichen Entstehung oder aus anderem Grund Hand an die Skulpturen legen durften, jetzt völlig neu sein.

Vielleicht schaffe ich „dieses neue Begreifen“ ja gar nicht, denn bisher war mir das Ertasten von Kunst selbst mit der Erlaubnis von Künstlerinnen und Künstlern nicht sehr geheuer, auch nicht in Atelier- oder Off- Space-Ausstellungen. Da bin ich zu tief geprägt. Aber ich glaube, ich werde es versuchen, denn die Auswirkungen der Digitalisierung setzen mit ihrer Wucht auch unsere Kunstwelt noch einmal ganz neu auf.

So verstehe ich es nach der Lektüre des aktuellen Buchs „Alles und nichts sagen“ von Eva Menasse über die folgenschwere Digitalisierung aller Lebensbereiche, die wie keine andere Idee der Menschheit, vergleichbar mit einer Naturgewalt, über uns hereinbricht. Man kann jetzt nicht mehr passiv sein. Es packen am besten alle mit an und werden mit allen Sinnen aktiv! Weil sich dieser Wunsch im Rahmen dieser Kolumne manchmal so anfühlt, wie eine ständige Wiederholung von bereits Gesagtem, mache ich doch immer weiter und wiederhole den einen oder anderen Satz, bis ihn jeder, der was unternehmen kann, gehört hat.

Zum Beispiel habe ich auch sehr oft wiederholt: „Am besten behält die Bahn den Bahnhof Vohwinkel“. Oder: „ Wir brauchen diesen Bahnhof in einem guten Zustand“. Und auch: „Der Bahnhof Vohwinkel wird das Eingangstor für die Bundesgartenschau 2031 in Wuppertal“. Und auf einmal, mitten in der fünften Jahreszeit, kommt überraschend die Meldung: Die Bahn behält den Bahnhof Vohwinkel und will diesen Bahnhof im Rahmen ihres Programms „Zukunftsbahnhöfe“ selbst erneuern. Spätestens bis zur Buga 2031 damit fertig sein, wenn die Stadt Wuppertal hier ihre Gartenschau - Gäste empfängt. Das war ein hartes Brett – ein echtes Zukunftskunststück. Eines, das wir in der Kunststation auf die Schiene gesetzt haben.

Das fasst mich an. Diesen Erfolg kann ich noch gar nicht begreifen.