Fünfter Geburtstag Wuppertaler Visiodrom: Wie aus der Dose ein kulturelles Wunder wurde

Wuppertal · Das Visiodrom wird fünf Jahre alt – Kurator Christian Höher blickt auf turbulente Zeiten und Höhepunkte zurück.

Die Da-Vinci-Ausstellung lockt auch mit ihrer technischen Komponente ins Visiodrom.

Foto: Visiodrom

Das Visiodrom war schon Schauplatz von zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen. Ob verstorbene Künstler wie Claude Monet und Leonardo Da Vinci, Musikaufführungen von der Wuppertaler Band Johnny Tupolev mit Musikvideo und dem Konzertchor, Präsentationen der Abschlussarbeiten von Studenten der Folkwang-Hochschule, gesellschaftskritische Ausstellung über indigene Völker und vieles mehr, das Team des Visiodroms macht alles möglich. Da konnte auch die NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft, Ina Brandes, einem Besuch nicht widerstehen.

Heute ist das Industriedenkmal eine Institution, durch die Wuppertal sich auszeichnet – der Botschafter Wuppertals. Doch das war nicht immer so. Der Start vor fünf Jahren war holprig und die Zukunft des Visiodroms ungewiss. Wir blicken auf die Geschichte des Visiodroms anlässlich des fünfjährigen Jubiläums zurück.

Auf die Eröffnung im Juni 2019 blickt Christian Höher mit gemischten Gefühlen zurück. Doch eines war für ihn klar: „Da ist ein ganz besonderer Ort, entstanden mit einem ganz besonderen Raum.“ Es bot sich eine große Chance, aber mit der Chance kamen die Anspannung und die Frage, wie man sie ergreift. Zunächst musste der Gaskessel ab Baubeginn 2016 hergerichtet werden, und da tauchten die ersten Herausforderungen auf: Zu sagen „alles klar, ich bau ein Haus in die Dose“, war für den Statiker kein leichtes Unterfangen. Ähnlich wie bei Getränkedosen ist der Mantel wichtig für die Stabilität, ein Loch für Fenster könne nicht ohne Weiteres reingeschnitten werden, Tageslicht sei aber essenziell.

Die Architekten Daniel Mai und Marcello Groß ließen sich etwas einfallen und stärkten die „Dose“ mit acht Meter langen Balken, die wiederum erst einmal reintransportiert werden mussten. Als das Visiodrom, damals noch unter dem Namen „Gaskessel Event GmbH im Gaskessel“ mit der Wundermaschine von Urban Screen eröffnete, fiel den Architekten ein Stein vom Herzen. Sie hatten etwas geschafft, wofür es keine Vorlage gab – mit einem einstelligen Millionenbetrag, so Höher. Der Gaskessel selbst wurde in den 1950ern gebaut, ging 1997 vom Netz und wurde 1998 unter Denkmalschutz gestellt.

Der 360-Grad-Mantel war zwar fertig, nur die Besucherzahlen liefen schleppend an. Dann kam auch noch Corona mitsamt neuen Konzepten und Vorschriften. Höher machte aus der Schwäche eine Stärke und nahm Kontakt zu Lichtkünstler Gregor Eisenmann auf, um eine Lichtshow und eine Sonderausstellung zur Wuppertaler Persönlichkeit Friedrich Engels zu konzipieren.

Mithilfe der Stadtgesellschaft kam genug Geld zusammen

Im Mai 2020 öffneten sie erneut ihre Pforten und wurden wieder mit wenigen Besucherzahlen enttäuscht. Wenn das Visiodrom jetzt nicht unterstützt werden würde, dann müsse es schließen, erinnert sich Höher an den holprigen Start zurück. Da kam die Schlüsselfigur Helge Lindh und sicherte mit seinem Einsatz eine Förderung von der Ausgleichsitzung des Kulturausschusses vom Deutschen Bundestag. 640 000 Euro waren in Reichweite – mit einem Haken: 50 Prozent davon mussten als Eigenanteil eingebracht werden. Dank Sponsoren wie der Sparkasse und, wie Höher sagt, der tollen Wuppertaler Stadtgesellschaft kam genug Geld zusammen. Sie finanzierten davon den technischen Ausbau und die Monet-Show, die nun zum ersten Mal in Eigenproduktion und unter guten Bedingungen gemacht werden konnte.

Auf der Suche nach einem Unternehmen für die Produktion der immersiven Show zog es Höher nach Frankreich. Die Qualität und Detailverliebtheit des französischen Unternehmens Spectre Lab sagten ihm zu, lediglich die französische Bildsprache musste in deutsche Erzählweise importiert werden. Hinzu kam die technische Erweiterung. Decke, Boden, Kubus und alle Flächen im Sichtfeld wurden zu Projektionsflächen und machten das Visiodrom zu einem der führenden immersiven Lichtspielhäuser in Deutschland.

40 Meter hohe Seitenwände und die Decke eines Industriedenkmals als erzählende Fläche habe sonst keiner, vermutet Höher. Das bemerkten auch die Besucher nach der Eröffnung der Monet-Ausstellung schnell und „rannten ihnen die Bude ein“, sagt der Kurator. Der Erfolg war so groß, dass sich Warteschlangen bildeten mit 1400 bis 1600 Besuchern am Tag in den Spitzenzeiten. Insgesamt bewunderten mehr als 172 000 Besucher die Monet-Show und verweilten teilweise stundenlang vor den vor und um ihnen herbeiziehenden Bildern.

„Die größte Freude war zu sehen, wie sich die Nummernschilder auf dem Parkplatz verändern“, freut sich Höher. Zunächst füllten den Parkplatz gar keine Autos, dann Wuppertaler, Remscheider und Solinger, schließlich mehr aus dem Bundesland bis hin zu gelben Kennzeichen aus Holland. So entstand eine Auswärtigenquote von 80 Prozent. Mit Düsseldorf als zweitstärkste und Köln als drittstärkste Zielgruppe zieht es die Menschen aus den Metropolen nach Wuppertal und nicht umgekehrt. „Mit Monet und der Bundeshilfe haben wir uns aus dem Dreck gezogen“, stellt Höher fest. Und mit der Hilfe des erweiterten Gesellschafterkreises mit Dirk Emde und Faton Zenuni als Geschäftsführer und einem kleinen Team, das Struktur gab.

„Das geht noch besser“ war die Prämisse für die neue noch laufende Ausstellung über Leonardo Da Vinci, die ebenfalls mit starken Zahlen überzeugt. Da Vinci lockt durch die technische Komponente mehr Familien und Männer an, während Monet vorwiegend bei Frauen überzeugte, vergleicht Geschäftsführer Dirk Emde. Bislang sind rund 120 000 Besucher gekommen, Emde rechnet mit insgesamt 150 000 in einem Jahr.

Für Christian Höher steht die Vermittlung von Bildung und Kultur im Vordergrund. Dank des innovativen Ansatzes könne Kultur ohne Berührungsängste vermittelt werden. „Wir sind das trojanische Pferd der Spaßgesellschaft“, hebt er hervor. „Du kommst hin, hast Spaß, kriegst beste Unterhaltung mit Show und Ausstellung, und am Ende hast du doch was gelernt und kannst dich gar nicht dagegen wehren.“ Ohne Druck und Kopfschmerzen hat jeder Besucher grundlegende Informationen über den Künstler, seine Zeit und seine Werke vermittelt bekommen. Verdaulich und leicht rezipierbar steht das Thema im Mittelpunkt, nicht die Technik.

Visiodrom hat seinen Platz
in der Kultur gefunden

Das Visiodrom hat seinen Platz in der Kultur gefunden. Einen Platz mit immersivem Storytelling und der Finalisierung der deutschen Immersivformate. Eine wichtige Komponente des Konzepts ist die begleitende Ausstellung – dass es nicht nur eine Show, sondern auch eine Ausstellung vor der Show gibt. Erst solle informiert werden und dann in der Show wiedererkannt und verstanden. Höher nennt das: „Mit rationaler Informationsgabe vorher ein emotionales Erlebnis steigern.“ Wenn die Besucher nach der Show erneut in der Ausstellung etwas nachlesen wollen, haben sie ihr Ziel erreicht. Die Show gilt als emotionaler Höhepunkt der Ausstellung.

Die Idee, den Gaskessel als Objekt zu benutzen, kam vom Inhaber von der Sportpark Group, Thomas Drescher. Sein Hobby ist es, alte Industriegebäude umzubauen und ein Fitnessstudio hineinzusetzen. Für ein Fitnessstudio war der Gaskessel zu groß, also kamen das Visiodrom und das Restaurant Aposto hinzu.

2023 sagte die Stadt Danke in Form des Wuppertaler Wirtschaftspreises in der Kategorie Stadtmarketing. Höher bezeichnet die Stadt als großen Bruder, der da ist, wenn man ihn braucht: mit Sponsoren für den Wirtschaftspreis, den Preis und den Zusammenhalt vor allem im Stadtbezirk Heckinghausen. Das nächste Projekt ist schon in der Planung, viel verraten kann Höher aber noch nicht. Einen Tipp gibt er: „Wir haben einen Künstler gefunden, den kennt jeder, und der wird in der öffentlichen Wahrnehmung seit 40 Jahren falsch verstanden, und diesen Maler werden wir präsentieren.“