Gewerkschaft „Es gibt ein neues Bedürfnis, Themen auf die Straße zu tragen“

Der 1. Mai ist Kampf- und Feiertag für Arbeitnehmer. Guido Grüning, Vorsitzender des DGB-Stadtverbands, über den 1. Mai, die Position der Gewerkschaften und die Seilbahn.

Guido Grüning, Vorsitzender des DGB-Stadtverbands, im Gespräch mit WZ-Redakteurin Katharina Rüth.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Das Motto für den 1. Mai 2019 lautet „Europa. Jetzt aber richtig! Auf die Stadt Straße für ein solidarisches und gerechtes Europa“. Was bedeutet das?

Guido Grüning: Europa wird heute als selbstverständlich angesehen und wieder in Frage gestellt. Wir müssen uns aber bewusst machen, was stärkere Nationalstaaten bedeuten würden. An Zöllen zum Beispiel können weder Unternehmen noch Beschäftigte interessiert sein. Welche Auswirkungen das haben könnte, sehen wir an der Diskussion über den Brexit. Und wir wehren uns gegen anti-europäische Populisten, wir wollen ein gerechtes und solidarisches Europa.

Was bedeutet das für Arbeitnehmer?

Grüning: Wir sollten uns klar machen, dass wir Arbeitnehmer in Europa sind: 60 Prozent der deutschen Produktion gehen ins europäische Ausland. In Wuppertal hat jeder dritte Arbeitsplatz mit dem Export in die EU zu tun. Daher brauchen wir europäische Regelungen, zum Beispiel einen Mindestlohn. Der kann nicht überall gleich sein, dazu ist die wirtschaftliche Situation zu verschieden. Aber man könnte ihn auf einen Prozentsatz des Durchschnittslohns im Land festlegen.

Was passiert am 1. Mai in Wuppertal?

Grüning: Wir ziehen wie seit Jahren ab 11 Uhr vom Unterbarmer Bahnhof zum Laurentiusplatz, dort findet ab 12 Uhr die Kundgebung mit Clarissa Bader, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Wuppertal, statt.

Sie treten auch auf.

Grüning: In meinem Grußwort wird es um Wuppertaler Themen gehen. Unter anderem werde ich mich für den Bau der Seilbahn aussprechen. Das ist eine Investition in den ÖPNV, etwas, was wir seit Jahren fordern. Ein Verdi-Vertreter wird auf die Sorgen der Kaufhof-Beschäftigten nach der Fusion mit Karstadt hinweisen. Wir wollen Solidarität mit den Beschäftigten zeigen.

Danach gibt es ein Familienfest.

Grüning: 26 Organisationen machen mit, Parteien, Gewerkschaften, Non-Profit-Organisationen. An den Ständen wird es Informationen und Aktionen geben, viele Angebote für Kinder. Alle Erlöse gehen an das Kinderhospiz Burgholz.

Wie viele Teilnehmer erwarten Sie?

Grüning: Bis zu 1000 gleichzeitig, insgesamt sicher mehr. Ich sehe eine neue Demonstrationskultur durch Bewegungen wie Pulse of Europe, die Ostermärsche und Fridays for Future. Es gibt ein neues Bedürfnis, Themen auch auf die Straße zu tragen, nicht nur online zu diskutieren.

Was ist der Stellenwert von Gewerkschaften heute?

Grüning: Es gab eine Talsohle mit neoliberalen Gedanken nach der Wende. Heute sucht man uns wieder als Partner, eher kurzfristig und themenorientiert. Auch wir suchen uns Partner, haben zum Beispiel mit dem Deutschen Mieterbund eine Woche des Wohnens organisiert. Diese Art von Kooperation ist die Zukunft.

Viele halten Gewerkschaften nicht mehr für nötig.

Grüning: Ja, für die ist das in dem Moment vielleicht auch so. Beschäftigte von Bayer haben das vielleicht auch so gesehen. Jetzt sind sie aber froh, dass es eine Gewerkschaft und einen Betriebsrat gibt, die über sozialverträgliche Lösungen verhandeln. Man wird sicher gute Lösungen finden – weil es Arbeitnehmervertreter gibt. Auch die Fusion von Kaufhof und Karstadt ist ein Beispiel dafür. Wir erfahren auch von größeren Entlassungen bei Betrieben ohne Betriebsrat. Dann gibt es keinen Sozialplan, keine Abfindungen. Dann kommt es meist sofort zu Konkurrenz der Betroffenen darum, wem eher eine Kündigung zuzumuten ist.

Wie gut sind die Gewerkschaften in Wuppertal vertreten?

Grüning: In traditionellen Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie oder der Chemiebranche sind wir gut aufgestellt. Auch bei Primark, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, verzeichnen wir Erfolge. Ansonsten ist es im Einzelhandel schwierig. Es gibt kaum noch große Häuser, sondern viele kleine Geschäfte, die keinen Betriebsrat haben.

Wie gut sind die Gewerkschaften in der Wuppertaler Politik vertreten?

Grüning: Wir haben allein im DGB-Vorstand drei Ratsmitglieder: Peter Vorsteher (GdP) für die Grünen, Claudia Radtke (ver.di) für die Linke und mich für die SPD. Außerdem ist Tabea Radtke, die Landesvorsitzende der Jungen CDA NRW und der CDA Wuppertal, in unserem Vorstand. Wir haben überall Gesprächspartner und werden auch gefragt – wenn auch nicht immer alles so läuft, wie wir es uns wünschen.

Wie weit hat die Digitalisierung bei den Gewerkschaften Einzug gehalten?

Grüning: Wir sind bei vielen Digitalisierungsprojekten dabei, begleiten auch die Stadt als digitale Modellkommune. An einigen Stellen wünsche ich mir im eigenen Haus Vereinfachung der Arbeit durch Digitalisierung. Von den neuen Medien nutze ich zum Beispiel Twitter. Aber so etwas wie die Maikundgebung bleibt wichtig. Wir wollen draußen ein Signal setzen.