Zweite Ausgabe „Zukunftskunst“ fasziniert beim Wuppertaler Festival Fragile

Wuppertal · Die Performance „String Section“ demonstrierte Zerbrechlichkeit.

Zerbrechlich: Bei „A String Section“ zerstörten die Tänzerinnen ihre Stühle.

Foto: Kevin Bertelt

Zum zweiten Mal findet in Wuppertal „Fragile“, das internationale Festival für Nachhaltigkeit und Kunst statt. Bis zum 6. Oktober wird das zukünftige Pina Bausch Zentrum zu einem Ort der Begegnung und Bewegung, zu einem kollektiven Erfahrungs- und Erfindungsraum. In Kooperation mit dem Wuppertal Institut präsentiert Fragile elf Produktionen, die sich mit der Kraft der unterschiedlichen Formate des Tanzes beschäftigen, um globale Empathie zu entwickeln, die Bühne als Experimentierfeld und Sensibilisierungsort für das Thema Nachhaltigkeit. Organisatorin Bettina Milz brachte in ihrer Eröffnungsrede dann auch den Begriff „Zukunftskunst“ zur Sprache, die zurückgeht auf Oberbürgermeister Uwe Schneidewind, dem „Transformationsspezialisten“, wie sie betont, damals noch Geschäftsführer vom Wuppertal Institut. Durch den Zusammenschluss und die Vernetzung von Kunst und Kultur mit der Wissenschaft und Nachhaltigkeitsforschung will Schneidewind dem Gefühl der Ohnmacht etwas entgegensetzen und Brücken bauen. Auch er betonte die Dringlichkeit eines globalen und generationenübergreifenden Handelns angesichts der stattfindenden Klimakatastrophe. „Es braucht dazu auch physische Orte wie diesen zum Treffen und Austausch.“

Stadtdirektor Matthias Nocke sprach von der Kunst als Verständnistreiber: „Mit Logik kommt man von A nach B, mit der Fantasie überall hin.“ Jana und Dana von der Pina-Bausch-Gesamtschule und Mitglied bei den „Young-Change-Watchers“ betrachten sich als „junge Veränderungsbeobachter“. Mit ihrer Aussage, dass sie sich auch in ihrem jungen Alter genötigt sehen, sich mit der klimatischen Veränderung der Welt zu beschäftigen, trafen sie den Nerv der Besucher. „Dass wir uns darüber Gedanken machen, zeigt, wie sehr wir in diesem Punkt versagt haben“, plädierten sie für ein gemeinsames Handeln.

Mit Sägen statt Instrumenten auf die Bühne getreten

Auch Caroline Baedeker vom Wuppertal Institut sprach von einer benötigten globalen Empathie. Über 100 Bewerbungen kamen bei dem „open call“ und das weltweit. Wie das Thema künstlerisch umgesetzt werden kann, zeigten zu Beginn die Reckless Sleepers. Sieben Frauen im kleinen schwarzen Kleid, wie zu einem Konzert elegant gestylt, sitzen auf Stühlen. Doch sie haben keine Instrumente in der Hand, sie hantieren mit Sägen. Den Stuhl unterm Hintern wegzusägen, während sie darauf sitzen, ist ihre Aufgabe – ohne umzufallen. Sie sitzen, liegen, stehen, winden sich akrobatisch um Lehne und Stuhlbeine und sägen quasi den Ast ab, auf dem sie sitzen. Es ist ein Akt der Selbstzerstörung, übertragbar auf das Verhalten der Menschen im Klimawandel. Wir sehen den Kipppunkt, sehen, was auf uns zukommt, der Stuhl wackelt, steht schief, und es wird stur weiter gesägt.

Der Begriff des Festivals „Fragile (zerbrechlich) wird hier mit „A String Section“ drastisch vor Augen geführt. Unsere Welt ist zerbrechlich und wird dennoch unablässig traktiert, wie der Stuhl, der in 45 Minuten mit einer stoischen Präzision komplett in Stücke gesägt wird. Kopfüber, die Beine hochgereckt, an die Fensterscheiben gestützt, wird die passende Arbeitsposition gesucht, um auch das Gleichgewicht zu halten, eine selbstzerstörerische Choreografie mit Symbolik. Es ist harte Arbeit, verbissen wird Stück um Stück gesägt bis zur endgültigen Zerstörung des Stuhls, Holzstücke und das Innenleben der Sitzpolster bedecken den Boden. Gegründet wurden die Reckless Sleepers 1988 und verdanken ihren Namen einem Gemälde des belgischen Surrealisten René Magritte. Die Wuppertaler Fassung mit Barbara Kaufmann vom Tanztheater Pina Bausch und Studenten der Folkwang Universität der Künste war ein toller Auftakt und wurde vom Publikum begeistert beklatscht.