Tag der Inklusion am 5. Mai Wie es ist, mit Schwerhörigkeit zu Leben
Wuppertal · Die Zwillinge Marcellina und Mirabella und ihre Mutter kommunizieren mit und ohne Gebärden. Mit unserer Autorin haben sie über Herausforderungen und Wünsche gesprochen.
Sie haben früher Basketball gespielt, tanzen gern, hören Musik und haben einen Instagram-Account, der Twinsseekthelife heißt. Und wünschen sich vor allem, normal behandelt zu werden. Auch wenn sie Hörgeräte tragen und sich in Gebärdensprache unterhalten können.
Die Zwillinge Marcellina und Mirabella (13) sind schwerhörig, wären ohne technische Hilfe taub. Wie ihre Mutter Melanie Bräcker (41). Mit einem gehörlosen Vater und einem hörenden Bruder sind sie in einer Familie groß geworden, in der sich alle mit den Händen verständigen können, aber auch sprechen. Während ihre gehörlosen Großeltern beim Treffen im Wuppertaler Hof mit anderen Gehörlosen lebhafte Gebärdengespräche führen, erzählen Mutter und Töchter fröhlich und engagiert von Herausforderungen in einer Welt für Hörende.
Melanie Bräcker hat dafür gekämpft, dass die Mädchen eine Regelschule besuchen können. Sie selbst war auf einer Gehörlosenschule. „Viel gelernt habe ich da nicht“, sagt sie. Als die Zwillinge die Grundschule Roncallischule besuchten, hat die Mutter als Mitarbeiterin des Vereins zur Förderung der Gehörlosen in Wuppertal die Lehrer beraten. „Es konnten dann noch mehr gehörlose Kinder auf die Schule gehen.“
„Manchmal reden
die Lehrer zu schnell“
Seit Melanie Bräcker zu ihrem Freund nach Nettetal gezogen ist, besuchen Marcellina und Mirabella eine Gesamtschule dort. Zwei Stunden pro Woche arbeitet eine Schulhelferin Lücken mit ihnen auf. Denn immer wieder können sie nicht allem im Unterricht folgen, auch wenn ihnen eine Mikrofonanlage hilft, gesprochene Worte aus dem Umgebungslärm zu filtern.
„Manchmal reden die Lehrer zu schnell“, erklärt Mirabella, „oder sie drehen sich um.“ Damit sie alles verstehen, muss ihr Gegenüber sie ansehen – das werde oft vergessen. „Jeden Tag fehlt ihnen zehn bis zwanzig Prozent“, schätzt die Mutter. „Es macht auch müde, wenn man die anderen immer anschauen muss.“ Leichter wäre es, mit Gebärdendolmetschern, aber die will ihnen keiner bezahlen. Vor einiger Zeit musste sich Mirabella blöde Bemerkungen anhören: „Die haben mich gemobbt, gesagt, dass ich hässlich bin mit meinen Hörgeräten.“ Sie ist dann in die Klasse ihrer Schwester gewechselt. „Bei mir sind alle ganz nett“, sagt Marcellina.
Dass sie sich mit Gebärden verständigen können, finden die Mitschüler „voll cool“, sagt Mirabella. Aber ein Sportlehrer habe schon gemahnt: „Hört mit eurer Geheimsprache auf!“ Melanie Bräcker erklärt, dass Gebärdensprache früher abgelehnt wurde, man wollte, dass Gehörlose „richtig“ sprechen. Sie erzählt aus ihrer Kindheit: Ihre Mutter habe ihr beim Elternsprechtag etwas mit Gebärden erklärt. Da habe die Direktorin der Mutter auf die Hand geschlagen. „Das hat sie nicht vergessen.“ Bräcker berichtet auch davon, dass Menschen sie nachäffen, wenn sie sich mit Gebärden unterhalten. Sie wünscht sich, dass Mitarbeiter bei Behörden langsam sprechen, dass es mehr Dolmetscher gibt. Oft müsse man sie vier Wochen im Voraus buchen. „Wenn alle Gebärdensprache könnten, das wäre ein Traum“, seufzt sie.
Marcellina und Mirabella ärgern sich über die Gedankenlosigkeiten: Dass Menschen sehen, dass sie sich in Gebärdensprache unterhalten und sie dann „in ihrer Sprache“ ansprechen – „oft leise und schnell“. „Einmal habe ich dann einfach zurückgebärdet“, sagt eine der beiden. „Ohne Ton. Und die waren dann sprachlos.“
Hobbys haben die beiden viele, wenn ihnen inzwischen auch die Zeit fehlt. Sie reisen gern, schätzen, dass sich Gehörlose auf der ganzen Welt verstehen – wenn auch die Gebärden nicht exakt gleich sind. Musik hört Marcellina am liebsten mit einem direkten Anschluss an ihr Hörgerät, Mirabella lieber, wenn das Handy vor ihr liegt. Und Spaß haben sie beim Fotografieren, was sie mit ihrer Mutter teilen. Diese schießt schöne Bilder der Mädchen – für den Instagram-Account.